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Filmdoku "Beethovens Neun" Larry Weinsteins Ode an die Menschlichkeit

Zwischen Krieg und Hoffnung: Wo steht die Menschheit 200 Jahre nach der Entstehung von Beethovens 9. Symphonie? Larry Weinstein sucht nach Antworten. Der Ukrainekrieg und die Ermordung seiner Schwester durch die Hamas prägen den Film.

Szene aus dem Film "Beethovens Neun - Ode an die Menschlichkeit" | Bildquelle: 3b-produktion

Bildquelle: 3b-produktion

BR-KLASSIK: Ludwig van Beethovens 9. Symphonie mit dem Chor im Finale war ein Wendepunkt in der Musikgeschichte. Das Werk hat aber auch eine gesellschaftliche Bedeutung, vor allem der Schlusssatz mit der "Ode an die Freude" und der Verszeile "Alle Menschen werden Brüder". Welche Aspekte haben Sie sich aus der 9. Symphonie für Ihren Film herausgepickt?

Larry Weinstein: Es geht um Menschlichkeit, dass Menschen andere Menschen mit Respekt behandeln und mit Würde und Liebe begegnen. Das Streben nach Frieden und Freiheit. All diese Dinge, die wertvolle Ideale sind und die damals sehr illusorisch waren und nicht selbstverständlich. Das alles hat Beethoven interessiert und ihn angezogen. Zudem wusste er, dass er nicht mehr allzu lange leben würde und dachte über die Nachwelt nach. In gewisser Weise hat er seitdem die Welt herausgefordert. Ich wollte das "Ukrainian Freedom Orchestra" fragen, ob es dieses Stück spielen könnte. Es ist ja ein neu gegründetes Orchester aus Musikerinnen und Musikern, die vor der russischen Invasion geflohen sind. Die Gründung basierte auf den Gedanken zu Freiheit, Brüderlichkeit und all den Dingen, die auch Beethoven schon inspiriert haben. Als das Orchester zugesagt hat, wusste ich: Jetzt müssen wir den Film wirklich machen!

Mitten in den Aufnahmen zum Ukrainekrieg war da plötzlich dieser andere Krieg zwischen der Hamas und Israel.
Larry Weinstein

BR-KLASSIK: Sie haben mal gesagt, dass der Film ganz anders geworden ist, als Sie ursprünglich erwartet haben. Inwiefern hat er sich verändert? 

Larry Weinstein: Die komplette Idee hinter "Beethovens Neun" ist: Es geht um neun verschiedene Charaktere, die Beethoven verkörpern und die Ideale, die dazu geführt haben, dass die Symphonie geschrieben wurde. Aber mitten in den Aufnahmen zum Ukrainekrieg war da plötzlich dieser andere Krieg zwischen der Hamas und Israel. Meine Schwester Judy und mein Schwager Gody lebten dort in einem Kibbuz, zwei Kilometer entfernt von Gaza. Judy und Gody sahen bei ihrem täglichen Spaziergang bei Sonnenaufgang die Raketen, die herüberkamen. Meine Schwester hat noch gefilmt, später aber Nachrichten an ihre Familie geschrieben, dass sie sich in einem Feld verstecken. Die Männer der Hamas haben sie aber gefunden, meine Schwester und mein Schwager wurden erschossen. Ich war zu dieser Zeit in Berlin und habe einen Film über Leonard Bernstein gedreht, als ich den Anruf bekam. Ich wusste nichts Genaues und wollte es auch nicht wahrhaben. Ich drehte ja gleichzeitig einen Film über die Welt, in dem Glauben, dass diese vielleicht ein guter Ort ist. Aber das war für mich persönlich dann natürlich eine unfassbare Herausforderung.

TV-Doku "Beethovens Neun - Ode an die Menschlichkeit"

ARTE zeigt Larry Weinsteins Dokumentarfilm "Beethovens Neun - Ode an die Menschlichkeit" am 5. Mai ab 22:45 Uhr und danach noch drei Monate in der Mediathek. Zu ARTE

BR-KLASSIK: Wie konnten Sie diese Geschehnisse in Ihrem Film verarbeiten?

Larry Weinstein: Der Film war am Ende eine Art Therapie oder Katharsis. Womit ich aber nicht gerechnet hatte: Ich wurde selbst ein Teil des Films. Zu dem Zeitpunkt hatten wir erst acht der neun Charaktere, von denen ich vorhin sprach. Mein Kameramann John hat dann gesagt: "Larry, ich weiß, dass du das hassen wirst", ich war nämlich noch nie in meinem eigenen Film und mochte diese Idee auch nicht. Aber er hat mich überredet: "Lass mich dich einmal interviewen über deine Schwester. Du musst es nicht im Film verwenden, aber lass es mich probieren." Das hat er dann gemacht. Nun bin ich die Nummer Neun in "Beethovens Neun". Es ist verrückt, wenn ich daran denke.

Die Seele meiner Schwester ist ein großer Bestandteil des Films.
Larry Weinstein

BR-KLASSIK: Was können die Zuschauerinnen und Zuschauer aus diesem Film mitnehmen?

Larry Weinstein: Wir hatten gerade die Weltpremiere bei dem "Hot Docs Canadian International Documentary Festival" in Toronto und ich habe den Film gemeinsam mit dem Publikum angesehen. Im Vorfeld der Premiere war ich sehr nervös, aus mehreren Gründen. Ich hatte Schuldgefühle, dass ich das schreckliche Unglück mit meiner Schwester zu meinem Vorteil nutzen würde, aber so hat das Publikum es nicht wahrgenommen. Sie haben den Liebesbrief von Beethoven an die Menschlichkeit gesehen. Und irgendwie war es auch so, als würde ich diesen Brief an meine Schwester schreiben. Sie hat an viele der Ideale geglaubt, an die auch Beethoven geglaubt hat. Der Film ist also auch eine wundervolle Huldigung an meine Schwester und an all die Menschen, die in dem Film vorkommen und so tiefgehende und wunderbare Dinge sagen: Steven Pinker, Rebecca Goldstein, Gabriela Lina Frank, die gehörlos ist. Sogar Leonard Bernstein ist ein Teil davon. Es ist ein sehr vielseitiger, reicher Inhalt, aber ich kann natürlich nicht leugnen, dass die Seele meiner Schwester ein sehr großer Bestandteil davon ist. Es macht mich unglaublich glücklich, sie darin zu sehen, aber auch gleichzeitig wahnsinnig traurig. 

Sendung: "Leporello" am 3. Mai 2024 ab16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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