Waghalsige Wortschöpfungen haut er nur so raus: Wer Albrecht Selges Blog "111 Konzertgänger" kennt, dem sind bald schon viele andere Kritiker zu blumig, selbstverliebt und abgeklärt. Weil Selge seine Hörerlebnisse durchknetet wie der Bäcker den Hefeteig, also sorgfältig und intensiv. Entsprechend sind seine Texte knusprig, aber nicht immer leicht bekömmlich. Passend zum Beethovenjahr hat er ein neues Buch geschrieben mit dem simplen Titel "Beethovn". Doch geht es in diesem Roman alles andere als simpel zur "Sache Beethoven".
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"1822 – Beethoven war nicht da." Das ist erstmal der einzige verständliche Satz in diesem Buch! Danach beginnt eine verzwickte Beethoven-Schnitzeljagd. In der bildet Selge mit verschachtelten Satzkonstruktionen ab, wie ein junger, komponierender Fan aus Darmstadt nach Beethoven sucht:
"….nach Alt-Lerchenfeld in ein ebenerdiges Haus Zu den zwei Wachsstöcken, wo ihm eine schwitzende, ihn nervös machende Frau gesagt hatte, Herr von Beethowen habe hier nur kurz gewohnt; ins Haus Zum schwarzen Adler in der Landstraßer Hauptstraße, den Ausläufer eines aufgehobenen Augustinerklosters, wo er, den in der Rocktasche steckenden Alma- nach Aglaja mit der herausgerissnen Seite auf dem Oberschenkel spürend, über die dunkle Hauptstiege in den zweiten Stock gegangen war, um dort vergeblich …"
Weder für den suchenden Musikus namens Schlösser noch für den Leser ist das, was Selge macht, ein erquicklicher Frühlingssonatenspaziergang. Vielmehr stiefelt man mühsam durch Wiens miefende, verwinkelte Gassen, plagt sich durch Personennamen, Straßen, Orte, Gasthäuser. Immer wieder strandet man in irgendwelchen Satz-Sackgassen. Mehrmals musste ich das Buch von vorne beginnen.
Dieses Buch hat gefehlt, weil …
… endlich mal jemand nicht versucht, Beethoven zu verstehen.
Dieses Buch liest man am besten …
… nur in Gesellschaft einer Flasche Wein.
Dieses Buch führt bei Überdosis …
… sicher nicht zu Taubheit.
Im ersten Kapitel, 1822, ist der junge Komponist und Virtuose Louis Schlösser das Vehikel, das uns in Beethovens Leben transportiert. In den folgenden Lebensjahren bis zu Beethovens Tod 1827 schauen wir auf den großen "Beethoven, Bettofen, Beethouven, Betofn, Beeethoveeen" – ein nettes Namenswortspiel am Rande, das sich durch das ganze Buch zieht. Auf diesen Ludwig van Beethoven schauen wir also aus den Augen der opiumberauschten unsterblichen Geliebten, aus dem Blickwinkel einer kranken Prostituierten, aus der Perspektive des Neffen Karl, den Beethoven bei sich aufgenommen hat und dem er Klavierunterricht gibt.
"Beethovn" von Albrecht Selge ist eine Annäherung an Beethoven mit vielen Irrungen und Wirrungen und herrlichen Wortspielereien wie "Klavierklepper" und "Klavierpäppler" – so kalkuliert verspielt, wie manch eine Beethovensonate.
Albrecht Selge:
"Beethovn"
Verlag Rowohlt, Berlin
237 Seiten
Preis: 22,00 Euro
Sendung: "Allegro" am 04. Februar 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK