Es war einmal ein Studentenorchester, in dem syrische, israelische und palästinensische Jugendliche Musik machten. So beginnt die Geschichte des West-Eastern Divan Orchestra. Der Dirigent Daniel Barenboim und der Literaturwissenschaftler Edward Said waren die Anstifter dieser musikalischen Kommunikation. Über die Jahre wurde das Niveau des Orchesters immer professioneller und das Projekt immer größer. Dazu gehören die Barenboim-Said-Akademie und der Boulez-Saal, die im letzten Jahr in Berlin eröffnet wurden. Nun gibt es ein Buch, das diese Entwicklung von den Anfängen bis heute nachzeichnet.
Your browser doesn’t support HTML5 audio
Ich mag kein Ghetto für zeitgenössische Musik, kein Ghetto für Barockmusik, ich mag überhaupt keine Ghettos.
Daniel Barenboim mokiert sich nicht nur trotzköpfig über das, was er nicht mag. Er gehört auch nicht zur Spezies der ewig Lamentierenden. Vielmehr befreit sich Barenboim aus solchen gedanklichen Ghettos. Das gilt für die Zusammenstellung seiner Musikprogramme im Boulez-Saal in Berlin, wo eben nicht allein Zeitgenössisches oder Barock pur auf dem Plan steht. Das gilt auch für den komplexen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern.
Am Anfang aller Töne stand eine Utopie, besser noch: Ein Hirngespinst, das in etwa lautete: Wir bringen die Feinde an ein Pult. Barenboim findet im Literaturwissenschaftler Edward Said einen scharf denkenden und dabei ebenfalls visionären palästinensischen Partner.
Den Ort fand er in Berlin, für eine Akademie, in der studiert wird – und für einen Konzertsaal. Im denkmalgeschützten ehemaligen Kulissendepot der Staatsoper Unter den Linden wurden rund 2.200 Kubikmeter Beton und 700 Tonnen Stahl verbaut. Der Pierre-Boulez-Saal entstand nach einem Entwurf des renommierten Architekten Frank Gehry. Dank zahlreicher Fotos im Buch sind wir dabei, wenn aus dem schäbigen Lager ein warmer, wonniger Konzertsaal erwächst. Man erfährt, wann die Fledermäuse ausgelagert werden mussten und dass der Saal eine ungewöhnliche Form hat. "Er ist oval", erklärt Daniel Barenboim. Es gibt, soweit ich weiß, keinen anderen ovalen Saal auf der Welt."
Hier erlernen die Studierenden die Tonart des Humanismus.
Nach der Lektüre des Buches hat man den Eindruck: Hier gelingt etwas Gutes. Trotz der Fülle an Bildern und Worten bleibt aber kein gesättigtes Gefühl zurück, kein Geschmack von Friede-Freude-Eierkuchen. Man kann "Die Utopie des Klanges" immer wieder zur Hand nehmen und über das Energiewunder Barenboim staunen. Im besten Fall färbt sogar etwas davon ab.
Daniel Barenboim, Michael Naumann:
"Der Klang der Utopie"
224 Seiten, kartoniert / broschiert
150 farbige und schwarzweiße Abbildungen
Henschel Verlag, Leipzig
Preis: 29,95 Euro
Sendung: "Piazza" am 27. Oktober 2018 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK