Heros, Revolutionär, nationales Idol. Ludwig van Beethoven musste in der Vergangenheit viele Wunschvorstellungen bedienen. War Beethoven ein Revolutionär? In musikalischer Hinsicht war er es ohne Zweifel. Ob auch in politischer Hinsicht, darüber wird unter Beethovenforschern und -Biographen eifrig debattiert. Im Beethoven-Jahr 2020 wird von verschiedenen Seiten der Versuch unternommen, sich wieder dem "eigentlichen" Beethoven anzunähern. So etwa Matthias Henke in seiner Biographie des Komponisten.
Matthias Henke zeichnet in seiner neuen Beethoven-Biographie zwar nicht das Bild eines Barrikadenstürmers – dazu war Beethoven zu sehr mit dem Adel und dem Ständestaat verbunden und profitierte auch davon. Aber der Autor sieht in manchen von Beethovens Werken auch einen politischen Bezug, wie etwa in den "Eroica-Variationen" op. 35. Henke schreibt: "In den letzten beiden Wiederholungen steigt das Thema aus der anfänglichen Bassregion zur Oberstimme auf. Wenn sich das Untere in das Obere verkehrt, eine niedere Schicht in eine hohe, dann ist dies nichts anderes als eine Umwälzung."
Folglich ging es Beethoven nicht um einen Umsturz, sondern um den humanen Gebrauch politischer Macht und die Idee der Freiheit.
Der frühere Professor für historische Musikwissenschaft Matthias Henke stellt in seiner Biographie heraus, dass Beethovens Ideale letztlich allgemeinerer Natur waren als die der Französischen Revolution. Das ist zwar nicht grundlegend neu, aber der Autor macht dies anhand zahlreicher Beispiele anschaulich und stellt diese in den Kontext von Beethovens Werk und Leben. Das bietet allen, die eine anspruchsvolle Hinführung zu Beethoven haben möchten, einen guten Einstieg. Mitunter geschieht der Wechsel der Themen und Inhalte in dieser Biographie allerdings zu abrupt. Der Eindruck der Heterogenität wird noch verstärkt, weil Henke zu Exkursen neigt und das nicht nur in Extra-Kapiteln, die sich dem "Konzertwesen im 18. Jahrhundert in Wien" oder "Beethoven im Film" widmen. Ein regelrechter Fauxpas ist, dass der Autor im Zusammenhang mit der Fünften Symphonie immer von der "Schicksalssymphonie" spricht – ein Begriff, der dem Werk erst später plakativ aufgeklebt wurde.
Henkes Beethoven-Biographie ist ein umfassendes Kompendium über die Jahrhundertfigur Beethoven, die aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird. Ein neues Beethoven-Bild, wie es der Verlag in seiner Ankündigung vollmundig verspricht, bietet das Buch jedoch nicht. Eine grundlegende Neubewertung von Leben und Werk Beethovens wird in diesem Jubeljahr auch nicht zu erwarten sein.
Matthias Henke:
"Beethoven – Akkord der Welt"
Hanser Verlag
352 Seiten
Mit zahlreichen Abbildungen
Preis: 26,00 Euro