Insgesamt 250 Komponistinnen hat der Journalist Arno Lücker im "VAN Magazin" eigene Artikel gewidmet. Eine ziemlich verdienstvolle Arbeit, die nun auch in Buchform vorliegt. Eigentlich eine gute Sache - leider fehlt ein bisschen die Systematik.
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Maddalena Casulana Mezari, Elisabeth Jacquet de la Guerre, Amanda Röntgen Maier oder Amy Beach. Dies Namen werden den meisten wohl nichts sagen. Kein Wunder, denn es waren Komponistinnen und als solche führen sie in der Musikgeschichte bis heute ein Schattendasein. Diese vier gehören zu denjenigen Musikerinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, die Arno Lücker in seinem Buch "250 Komponistinnen" vorstellt.
Autor Arno Lücker beginnt nicht etwa chronologisch mit der Byzantinerin Kassia aus dem 9. Jahrhundert, der ersten namentlich bekannten Komponistin des Abendlandes, sondern mit der durchaus innovativen Spätromantikerin Margaret Ruthven Lang, die 1867 in Boston geboren wurde und erstaunliche 104 Jahre alt wurde.
Auf die Amerikanerin Margaret Ruthven Lang, mit der Lücker 2019 seine Artikelserie für das "VAN Magazin" begann, folgten in zufällig wirkender Reihenfolge 249 weitere Porträts. Auch im jetzt daraus entstandenen Buch wird diese Abfolge beibehalten. Das letzte der 250 Porträts ist Hildegard von Bingen gewidmet. Dazwischen stehen also zeitgenössische Künstlerinnen neben Romantikerinnen, oder komponierenden Nonnen aus dem Mittelalter.
Lückers Anspruch, seine Essaysammlung solle sich wie ein "Roman" lesen lassen, löst sich deshalb nicht ein. Aus den unverbunden und zufällig aneinandergereihten Artikeln entsteht keine geschlossene Erzählwelt.
Sein Ansinnen, all diese Komponistinnen in einem Buch einem heutigen Publikum zugänglich zu machen, ist zwar aller Ehren wert. Doch macht die fehlende Systematik die Lektüre anstrengend. Für wissenschaftliche Zwecke wäre eine geographische, historische oder wenigstens noch alphabetisch Anordnung hilfreich. Auch wenn die einzelnen Kurzporträts sehr interessant sind und teils sehr bewegende und berührende Lebenswege nachzeichnen, so fehlt bei dieser ungeheuren Fleißarbeit doch der innere Zusammenhang.
Dieses Buch wird lieben, wer …
… sich für komponierende Musikerinnen interessiert.
Dieses Buch liest man am besten …
… mit Musik der jeweiligen Komponistin.
Dieses Buch ist wie geschaffen ...
… für alle, die neugierig auf neue Aspekte der Musikgeschickte sind.
Lückers Vorgehen bei diesen willkürlich aufeinanderfolgenden Porträts ist immer gleich: Erst gibt’s jeweils eine meist kurze Biographie, die fast immer mit dem Todesjahr und der Altersangabe endet. Da teilweise erstaunlich wenig über die 250 ausgewählten Komponistinnen bekannt ist, muss der Autor, wie er im Vorwort schreibt, über "Motivationen, Herkünfte und stilistische Einflüsse etwas spekulieren."
Gerne zitiert Lücker Zeitgenossen der jeweiligen Künstlerinnen. Anschließend analysiert er ein für die jeweilige Komponistin exemplarisches Stück und wertet dabei stets persönlich. Beispielsweise beim 1911 entstandenen Streichquartett Es-Dur op. 6 der Wienerin Johanna Müller-Hermann. Von den rhythmischen Orientierungsankern, die sie im letzten Satz wirft, ist er besonders begeistert, rühmt die "grandios fiesen Bosheiten" und den "Tanz auf dem Vulkan", den Müller-Herrmann hier komponiert habe.
In seiner Begeisterung bedient sich Arno Lücker teils überschwänglicher Formulierungen und einer überfrachteten Sprache. Wortschöpfungen wie "Mutigkeiten" oder "Radikalitäten" mögen die eine oder andere Leserin befremden. Und natürlich kann er in diesem Buch nur einen Teil aller komponierenden Frauen vorstellen. Trotzdem ist es schade, dass z. B. die bedeutende zeitgenössische griechische Komponistin Konstantía Gourzí fehlt. Oder Camillla Frydan, die zu den wichtigsten Künstlerinnen Wiens zählte.
Außerordentlich lobenswert ist aber die vom Autor zusammengestellte Musik zur Lektüre: Ein QR-Code im Buch führt zu den Links einer Playlist mit allen 250 besprochenen Kompositionen, die so auch hörbar werden.
Der Band "250 Komponistinnen" von Arno Lücker ist in der "Anderen Bibliothek" erschienen und kostet 58 Euro.
Sendung: "Allegro" am 11. Dezember ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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