Vor vier Jahren begeisterten sie Publikum und Jury beim ARD-Musikwettbewerb: die vier jungen Franzosen vom Quatuor Arod. Mit einem ersten Preis hatten sie beste Voraussetzung für eine internationale Karriere – schließlich haben die berühmtesten Quartette der Welt bei diesem Wettbewerb erste Preise bekommen: das Artemis Quartett und das Quatuor Ébène. Hohe Erwartungen also, die das Quartuor Arod nun mit diesem Schubert-Album einlösen muss.
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Schwammerl – das war sein Spitzname. Franz Schubert war alles andere als ein Einzelgänger. Ständig war er von Freunden umgeben, die ihn mochten. Und neckten. Denn Schubert war meist gutmütig, humorvoll – und mit exakt 1,52 Meter nicht gerade imposant gewachsen. Den Spitznamen Schwammerl ließ er sich meist gefallen. In die Irre führt er trotzdem.
Auch Erfolg hatte Schubert durchaus – nur leider nicht mit den Stücken, die ihm wichtig waren. Seine Walzer verkauften sich glänzend. Viele seiner Lieder waren sogar richtige Bestseller. Aber dass dieser liebenswürdige Ländler-Lieferant auch Musik schrieb, Streichquartette zum Beispiel, die Stratosphären entfernt war von allem bis dahin Gehörten, das bekam kaum jemand mit zu Schuberts Lebzeiten.
In Schuberts d-Moll-Quartett "Der Tod und das Mädchen" beginnt die Musik mit einem Erdbeben und steigert sich überstürzt. Der Tonfall ist existenziell, gehetzt, manchmal geradezu hysterisch. Das Quatuor Arod spielt diese kompromisslose Musik mit atemberaubender Dramatik. Die vier Franzosen beschönigen nichts, runden nichts ab, wo Schubert scharfe Kanten setzt. Aber sie haben auch kein Alibi nötig: Schroffe Töne müssen nicht hässlich sein. Und wenn sich die Musik in einen besinnungslosen Bewegungsrausch hineinsteigert, heißt das noch lange nicht, dass die Interpreten die Kontrolle verlieren dürften. Dieses Streichquartett spielt technisch auf überragendem Niveau – in einer Liga mit den allerbesten.
Dieses Album lohnt sich, weil …
… das Quatuor Arod Schubert mit atemberaubender Dramatik spielt.
Dieses Album hört man am besten …
… an langen Winterabenden.
Dieses Album wird lieben, wer…
… sich von Musik gern aus der Komfortzone locken lässt.
Und die vier haben jede Menge gute Ideen. Als sie vor vier Jahren den ARD-Musikwettbewerb gewannen, waren es manchmal fast zu viele gute Ideen. Die Phantasie etwa im freien Umgang mit dem Tempo haben sie sich glücklicherweise bewahrt. Dabei aber an Konzentration aufs Wesentliche gewonnen. Großartig auch das Gespür für Farben und Tonfälle. Denn natürlich bleibt es nicht bei der Dramatik des Anfangs. Auch Schuberts verführerische Melodien-Sinnlichkeit darf sich aussingen in dieser erstaunlichen Musik.
Seinen Namen hat das Quartett nach dem langsamen Satz. Schubert zitiert darin sein Lied "Der Tod und das Mädchen" auf einen Text von Matthias Claudius. Zuerst ist der Tod der "wilde Knochenmann", dann entpuppt er sich als morbider Liebhaber. Und man weiß gar nicht, was man schlimmer finden soll: Die düstere Angst zu Beginn oder die Resignation, mit der der Satz endet.
Verzweiflung in Dur: So etwas konnte nur Franz Schubert. Harmlos ist jedenfalls nichts an dieser Musik. Das gilt ebenso für Schuberts gern auch heute noch unterschätze Frühwerke. 16 Jahre alt war er, als er ein Streichquartett in G-Dur schrieb. Es war schon sein Viertes. Schubert komponierte es im Internat, im Gemeinschaftsraum, umgeben von den Gesprächen und Späßen der Freunde. Unglaublich! Schon hier klingt ein existenzieller Ton an – toll, dass das Quatuor Arod diese Musik mit der gleichen Intensität spielt wie die bekannten späteren Werke. Eine reizvolle Gegenüberstellung, ein großartiges Album.
Franz Schubert:
Streichquartett Nr. 1 C-Dur, D 46
Quartettsatz c-Moll, D 703
Streichquartett Nr. 14 d-Moll, D 810 "Der Tod und das Mädchen"
Quatuor Arod
Label: Erato
Sendung: "Piazza" am 24. Oktober 2020 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK