Seit Jahren zählt das britische Belcea Quartet zu den besten Streichquartetten der Szene und hat bereits die kompletten Streichquartette von Beethoven, Brahms, Bartok und Britten eingespielt. Ihr neues Album ist erstmals der Musik von Dmitrij Schostakowitsch gewidmet. Gemeinsam mit dem polnischen Pianisten Piotr Anderszewski stellt das Quartett zwei gewichtige Kammermusikwerke Schostakowitschs aus den 1940er Jahren nebeneinander: das Klavierquintett op. 57 und das Streichquartett Nr. 3.
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Diese Musik klingt unterschwellig gehetzt, existentiell und immer wieder äußerst beklemmend. Es ist eine Musik ohne sichere Verankerung, ausdrucksstark und intensiv. Dmitrij Schostakowitsch schrieb sie kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1946. Es ist sein Drittes Streichquartett, fünfsätzig gebaut und groß dimensioniert.
Als Schostakowitsch sein Streichquartett Nr. 3 komponierte, hatte er gerade seine Neunte Symphonie vollendet. Das einleitende Allegreto greift die heitere Stimmung und Musizierfreude des Kopfsatzes dieser Symphonie auf. Auch im dritten Streichquartett-Satz, einem skurrilen und zwielichtigen Marsch, ist die Verbindung zur Symphonie ohrenfällig, dieses Mal mit deren Finale. Insgesamt vereinigt das Dritte Streichquartett jedoch viele verschiedene Stilmittel, die Schostakowitsch mit seiner eigenen Handschrift zusammenbringt und seinen unverwechselbaren Klang verleiht. Das Belcea Quartet bringt diesen typischen Schostakowitsch-Sound und das Geflecht der Stimmen markant und beeindruckend zum Ausdruck. Die Musiker spielen mutig, rhythmisch akzentuiert und loten so die Extreme dieser Musik intensiv aus. Es ist kein "leichter" oder "gefälliger" Schostakowitsch, den wir da hören.
Auch wenn die Musiker des Belcea Quartet sehr leidenschaftlich spielen, gerät ihnen nichts außer Kontrolle, auch nicht in den aufgeheizten Passagen. Dies gilt auch für ihre Interpretation des Klavierquintetts. Dieses Stück komponierte Schostakowitsch 1940 auf Wunsch des Beethoven-Quartetts, das später auch das Streichquartett Nr. 3 zur Uraufführung brachte. Vom Dritten Quartett unterscheidet es sich im Gestus jedoch stark, nicht zuletzt durch Reminiszenzen an frühere Stilepochen. So gleicht der zweite Satz einer ruhig dahinziehenden Fuge, der mit dem Stückbeginn ein Präludium vorausgeht. Das melodisch ausgreifende Thema wird von den nacheinander einsetzenden Streichern eröffnet. Der Klavier-Bass greift erst spät ein. Es ist eine auskomponierte Steigerungskurve, die das Belcea Quartet zusammen mit dem polnischen Pianisten Piotr Anderszewski sukzessiv und unglaublich farbenreich aufbaut und durchhörbar macht.
Wenn man Schostakowitschs Musik in all ihrer doppelbödigen Ausdruckspalette zwischen vordergründiger Musizierlust und abgründigem Existentialismus kennenlernen und sich von den einkomponierten phänomenal vielschichtigen Klangfarben packen lassen will, liegt man mit diesem neue Album des Belcea Quartet und Piotr Anderszewski genau richtig. Denn den Musikern gelingt mit ihrer Interpretation die Gratwanderung zwischen unbändiger Ausdruckskraft und verinnerlichtem, dynamisch fein abgestuftem Zusammenspiel einfach großartig.
Klavierquintett g-moll, op. 57
Streichquartett Nr. 3 F-dur, op. 73
Belcea Quartet
Piotr Anderszewski, Klavier
Label: Alpha Classics
Sendung: "Leporello" am 17. April 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK