Schuberts Lieder sind bis heute Krönung und Herausforderung für jeden Sänger, der sich der Gattung Kunstied stellt. So auch für die britische Sopranistin Carolyn Sampson. Zwanzig Jahre hat sie gewartet, ehe sie sich an Schubert wagte. Was dann herausgekommen ist, gibt es jetzt auf CD: "A Soprano's Schubertiade".
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Im Klaviervorspiel ist schon alles drin: das Zögern und Ziehen der Liebe, wie sie im Mittelalter als Minne verstanden wurde. Anbeten, preisen, schwärmen: ja. Erreichen? Niemals! Lieber schmachten und vergehen. Bevor der Text von "Blondel zu Marien" überhaupt beginnt, hat das Klavier schon die Stimmung verbreitet, die hier im Lied auf dreieinhalb Minuten verdichtet wird. Es ist gleichwertiger Partner des Gesangs, es kommentiert und beleuchtet das, was gesungen wird. Schubert eben.
Aber Moment mal, fragt man sich beim Hören: Ist das überhaupt Schubert? Oder nicht vielleicht doch Bach? So leicht und schlicht, aber mit einer unmittelbaren Intensität gestaltet Carolyn Sampson Schuberts Lieder. Auch wer es vorher nicht wusste, hört es sofort: Die Sopranistin beschäftigt sich viel mit Alter Musik, mit historischer Aufführungspraxis. Immer wieder erinnert ihre Gestaltung an barocke Rezitative.
Diese schlanke Stimme schadet dem reichhaltigen Schubert aber nicht, im Gegenteil, sie gliedert sich in die Vielschichtigkeit ein, dominiert sie nicht – geht aber auch nie unter. Glasklar, entschieden, souverän scheint sie verlässlich durch das musikalische Geschehen hindurch. Zu dieser Klarheit leistet auch die Sprache ihren Beitrag. Der Text ist für Schuberts Lieder wichtig – und bei Carolyn Sampson versteht man jedes Wort. Mehr noch: Es ist kaum zu glauben, dass Deutsch nicht die Muttersprache der Britin ist.
"A Soprano's Schubertiade" versammelt 15 Schubert-Lieder auf einer CD. Der gemeinsame Nenner: Alle sind an, von oder über Frauen: "Ellens Gesänge" von Sir Walter Scott, Suleika I und II aus Goethes Diwan, Lieder aus Goethes "Wilhelm Meisters Lehrjahre", und drei Mal singt das Gretchen aus dem "Faust", unter anderem das eben gehörte "Gretchen am Spinnrade".
Während die meisten Lieder um die drei bis vier Minuten lang sind, einige sechs bis acht, fällt "Viola" mit seinen 13 Minuten auf. Der Text stammt von Franz von Schober, Schuberts bestem Freund. In 19 metaphorischen Strophen geht es vom unschuldigen Schneeglöckchen, das den Frühling ankündigt, über heiteres Liebesglück bis in den tiefsten Schmerz, die Enttäuschung. Am Ende ist Viola stumm und bleich – erdrückt; wie das Schneeglöckchen. Ein dramatischer Aufbau, der aus dem Nichts wieder in das Nichts führt. Von Carolyn Sampson und ihrem Partner am Klavier, Joseph Middleton, so facettenreich gestaltet, das man sich beim Zuhören wie in einer Theatervorstellung fühlt.
Schubert entschlackt, von Carolyn Sampson aus einer Bach'schen Intensität heraus gestaltet, von Joseph Middleton im besten Team-Sinne begleitet: lebendig, klug, kein bisschen wuchtig. Dies ist eine CD für ruhige, unaufgeregte Stunden. In ihrer Klarheit dazu geeignet, die eigene Seele aufzuräumen.
Franz Schubert:
Lieder
Carolyn Sampson (Sopran)
Joseph Middleton (Klavier)
Label: BIS
Sendung: "Leporello" am 3. Mai 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK