Enjott Schneider hat Opern komponiert, Chor- und Orgelwerke, Musicals, jede Menge Filmmusik und ist zweifellos einer der meistgespielten zeitgenössischen Komponisten Deutschlands. Während derzeit Schneiders Oper "Marco Polo" in Peking für Furore sorgt, erschien jetzt eine weitere Folge seines symphonischen Oeuvres auf CD. Hinter dem Titel "Magic of Irreality" verbergen sich zwei Werke in ebenso prominenter wie ungewöhnlicher Besetzung, nämlich das Doppelkonzert "Isolde & Tristan" für chinesische Erhu und Violoncello sowie "Dreamdancers" für Piccolotrompete, Flügelhorn und Orchester.
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Mit ihrem einschmeichelnden, lieblich singenden Klang ist die zweisaitige Erhu das vielleicht bekannteste Instrument Chinas. Ihre Protagonistin Jiemin Yan, die hier an der Seite des Cellisten Wen-Sinn Yang spielt, ist die weltweit führende Interpretin auf der Erhu. In Schneiders Doppelkonzert "Isolde und Tristan" – man beachte die Reihenfolge – verkörpert sie die Isolde, die damit zu einer Art asiatischer Märchenprinzessin mutiert.
In Traumwelten, wie sie die beiden vorliegenden Werke beschreiben, sind solche Mutationen nicht nur möglich sondern wesenhaft. Denn gerade das Un-Erhörte, das Fantastisch-Absurde und fluide Wandeln zwischen den Welten ist hier das Thema. Und wer könnte derartige Grenzgänge plastischer in Töne fassen als Enjott Schneider, von jeher fasziniert vom Erkunden spiritueller und mythisch-magischer Stoffe. Und gleichzeitig ein Komponist, dem bildhafte Programmatik besonders zu liegen scheint.
Selbstverständlich steckt Schneiders ost-westlicher Traum-Diwan "Isolde & Tristan" voller Wagner-Zitate und ist überhaupt eine mutige Mischung aus eigentlich unvereinbaren Klangwelten. Doch diese scheinbare Hürde nimmt der Komponist mit traumwandlerischer Inspiriertheit – und streckenweise auch mit Humor, wie in "Isoldes Liebestod", der hier als ein langsamer Walzer dargeboten wird. Und dennoch veredeln die beiden Solisten mit Erhu und Cello diese bewusste Ent-Mythologisierung zum hocherotischen Liebes-Duett. Vom Sibirischen Staatsorchester Krasnojarsk ganz zu schweigen, das unter der Leitung von Vladimir Lande zum höchst kompetenten und einfühlsamen Partner wird.
Ganz anders kommt dagegen das zwei Jahre später entstandene Stück "Dreamdancers" (2016) daher; mit einem ersten Satz, dessen tänzerisch-luzide Stimmung fast an die Filmmusik zu "Shape of Water" erinnert. "Traumland: grüne Galaxie mit fliegenden Tigern und brennenden Schmetterlingen" lautet die Überschrift dieses Satzes. Ihn durchzieht ein tänzerischer Gestus, der das Gegensatz-Paar Piccolotrompete und Flügelhorn zu teils schwindelerregenden Pirouetten antreibt – denen kurz darauf meist der Sturz ins Bodenlose folgt.
Und auch dies ist eine der Qualitäten des Komponisten Enjott Schneider: dass er für seine symphonischen Projekte immer wieder renommierteste Solisten begeistern und verpflichten kann. So im vorliegenden Konzert für Piccolotrompete und Flügelhorn die Trompeter Otto Sauter und Sergei Nakariakov – Letzterer wegen seiner staunenswerten Virtuosität als "Paganini der Trompete" international gefeiert.
Enjott Schneider:
"Isolde & Tristan" – Doppelkonzert für Erhu, Violoncello und Orchester
"Dreamdancers" – Konzert für Piccolotrompete, Flügelhorn und Orchester
Jiemin Yan (Erhu)
Wen-Sinn Yang (Violoncello)
Otto Sauter (Piccolotrompete)
Sergei Nakariakov (Flügelhorn)
Siberian State Symphony Orchestra
Leitung: Vladimir Lande
Label: Wergo
Sendung: "Leporello" am 23. Mai 2018 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK