Von den einen wird er als "Klassik-Rebell" vermarktet, von den anderen als "neuer Messias" gefeiert: Teodor Currentzis, gehypt, umstritten, mischt die Klassikbranche gerade mächtig auf. Und doch ist der 46-jährige Pultstar mittlerweile im öffentlich-rechtlichen Kulturbetrieb angekommen – mit Mahlers Dritter Symphonie gab Currentzis kürzlich beim SWR Symphonieorchester seinen triumphalen Einstand als Chefdirigent. Mit seinem eigenen russischen Ensemble MusicAeterna, das in Perm am Uralgebirge beheimatet ist, hat Currentzis jetzt ebenfalls Mahler eingespielt: die Sechste Symphonie.
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Zackig und forsch, mit dem ihm eigenen Schwung stürzt sich Teodor Currentzis auf die hämmernden Marsch-Rhythmen in Gustav Mahlers Sechster Symphonie. Auch bei Mahler setzt Currentzis auf grelle Kontraste: Die Almglocken-Idyllen inszeniert er als visionäre Sehnsuchtsorte, als utopische Gegenwelten. Fahl, flirrend, surreal klingt das – wie heutige Avantgarde. Manchmal sitzt Currentzis der Schalk im Nacken, etwa wenn er punktierte Rhythmen lässig überpointiert – er ist eben auch ein lustvoller Tänzer am Pult. Gelegentlich überrascht der Dirigent durch eigenwillige Temporückungen. Und manchmal geht ihm dabei auch der Gaul durch, wenn er unvermittelt von Null auf Hundert schaltet.
Das Leistungsniveau des MusicAeterna-Orchesters ist erstaunlich, besonders die Bläser beeindrucken. In Mahlers kühn collagiertem Scherzo treffen jaulende Hörner auf morbide Walzerklänge. Das schmerzlich-schöne Andante ist der Ruhepol im hektischen Weltengetümmel von Mahlers "Tragischer Symphonie". Ganz zurückgenommen, schlicht und unsentimental gestaltet Currentzis diesen Satz – wie eine Reise durch ein trostloses Land.
Auch in den heftigen Eruptionen des monströsen Finales steuert Currentzis seine Musiker souverän und straff durch die Klangmassen. Doch die problematische Klangregie der CD, die Details übermäßig heranzoomt, ist dabei wenig hilfreich. Das diffuse Klangbild bietet keine Orientierung im Raum, tendiert zu einem spitzen, klirrenden Forte, manchmal hört man sogar Schnitte. Schade drum. Insgesamt aber ist Currentzis eine durchaus werkdienliche Mahler-Interpretation gelungen, die durch ihren Klangfarbenreichtum, ihre Artikulationsschärfe, ihre Zugkraft überzeugt – und durch eine schöne Leichtigkeit.
Gustav Mahler:
Symphonie Nr. 6 a-Moll "Tragische"
MusicAeterna
Leitung: Teodor Currentzis
Label: Sony Classical
Sendung: "Leporello" am 05. November 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK