Ein Barockkostüm. Samt, Gold, Brokat und Seide in Hülle und Fülle. Leger fläzt Manuel Cencic sich über einen prunkvoll verzierten Sessel. 18. Jahrhundert par excellence, schreit das CD-Cover. Bühne frei für die große Oper.
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Dazu, im grellen Kontrast: der Glatzkopf und der auffällige Ohrring, modern style, Hipster 2018. Heute und gestern aufeinander prallen zu lassen, ist für den Countertenor Max Emanuel Cencic kein Problem, sondern ein Spiel. Er liebt die Oper, die Verkleidung, die Darstellung, auch die Selbstdarstellung. Das Spiel mit Charakteren und Stimmungen, das Spiel mit der Stimme. Und die Bravour.
Die Kastraten waren es, mehr als die Komponisten, die im Barock über das Wohl und Weh einer neuen Oper entschieden. Je besser die Stars wie Farinelli oder Caffarelli ihre Stimmkünste zur Schau stellen konnten, umso mehr Erfolg hatten die eigentlichen Schöpfer: Hasse, Händel, Porpora. Also galt es, alles, wirklich alles zu wissen, über die Stimme, ihre Möglichkeiten, ihre Reize und Verlockungen. Der italienische Komponist Nicola Porpora (seine Bilanz: 45 erfolgreiche Opern!) machte sich das Schicksal zu Eigen und unterrichtete die Stars gleich selbst. Brutal streng soll er gewesen sein, manche soll er über Jahre mit ein und derselben Stimmübung getriezt haben, um ja alles aus ihren Kehlen heraus zu holen.
Countertenor Max Emanuel Cencic schauert es nach eigenen Angaben beim Gedanken an die fast sadistischen Unterrichtsmethoden von Nicola Porpora. Trotzdem findet er, es schade nicht, möglichst viel über den Italiener zu wissen, wenn man seine Musik heute singt. Cencic ist ein Mann der Bühne, ein Chamäleon: einer, der seine Freude hat an charakterlichen und folglich an musikalischen Extremen. Triumphale oder zornige Koloraturfeuerwerke füllt er genauso gern und gut mit stimmlicher Substanz wie getragene, sanftmütige Pastoralstücke.
Was Cencic für sein persönliches Porpora-Album an Opernarien ausgewählt hat (darunter einige Ersteinspielungen), unterstreicht ideal seine eigenen Stärken: die stimmliche Wandelbarkeit, das Erzeugen von Atmosphäre und natürlich seine brillante Technik, die selbst rasanteste Koloraturen noch zum Ausdruck von Gefühlen werden lässt. Möglich wird das auch, weil Cencic mit dem Ensemble Armonia Atenea und dem Dirigenten George Petrou auf langjährige, versierte Partner zurückgreift – hier ziehen alle am selben musikalischen Strang. Und ziehen einen selbst hinein, in die überbordende und schillernde Barockwelt von Nicola Porpora. So überzeugend, dass man sich darin verlieren würde, wäre Cencics Counterstimme nicht klar 21. Jahrhundert und würde nicht der Ohrring irritieren. So macht Stilbruch Spaß!
Arien aus "Ezio", "Meride e Selinunte", "Ifigenia in Aulide", "Filandro", "Poro", "Enea nel Lazio", "Il Trionfo di Camilla", "Carlo il calvo", "Arianna in Nasso"
Max Emanuel Cencic (Countertenor)
Armonia Atenea
Leitung: George Petrou
Label: Decca
Sendung: "Leporello" am 26. März 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK