Es hat inzwischen Seltenheitswert, wenn es im Opernsektor die Neueinspielung eines Stücks gibt, das dem Mainstream angehört. Verdis populärer "Macbeth" etwa gilt längst als diskografisch ausgereizt. Doch halt: Sobald man sich in diesem Fall für die nahezu vergessene Florentiner Urfassung von 1847 entscheidet, wird das Ganze zum Blickfang! Auch sind Originalinstrumente bei Verdi keineswegs die Regel. Jetzt ist der Mitschnitt einer konzertanten Aufführung mit dem Ensemble Europa Galante unter der Leitung von Fabio Biondi erschienen.
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Wie meinte doch Karl Valentin? "Und am Ende des Vortrags trat plötzlich der Schluss ein!" Genau das möchte ausrufen, wer die Originalpartitur von Verdis "Macbeth" hört: Abrupt bricht sie ab, kaum dass der gefallene Titelheld sich verabschiedet hat. In der 18 Jahre später revidierten Version findet sich keine vergleichbare Sterbeszene mehr, dafür das monumentale Ensemble mit Chor als Kommentar zum grausigen Geschehen. Und heute hat es seinen Reiz, vor dem Hintergrund des Etablierten das Eliminierte auf sich wirken zu lassen. Zumal der Bariton Giovanni Meoni als Macbeth ein durchdachtes Charakterprofil entwirft. Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb die Novität Interesse verdient hat.
Verdi wünschte sich für die Interpretin der Lady Macbeth einen vor Hässlichkeit berstenden oder jedenfalls niemals zurückschreckenden Gesang: als Spiegel einer verkommenen Menschenseele. Und in der "Macbeth"-Diskografie gab es für die zentrale Rolle der Oper bisher wohl keine Besetzung, die dem Wunsch des Komponisten so konsequent nachgegeben hat. Nadja Michael trifft zwar nur wenige Töne präzise, die meisten singt sie zu tief. Wie tief diese Theaterfigur tatsächlich moralisch gesunken ist, durch ihre Mordlust nämlich, wird so aber deutlich hörbar. A propos Lust: Am sinnlichen Timbre der Sängerin ändern die intonatorischen Ungenauigkeiten nichts: Mit den Waffen einer Frau herrscht hier eine Hexe!
Und das Kollektiv der eigentlichen Hexen, die den Ehrgeiz des Feldherrn, der zur Krone drängt, gleich zu Beginn der Oper anstacheln? Sie kommen befeuert vom Alte-Musik-Experten Fabio Biondi mit hinreißender Vitalität über die Rampe. Der in Warschau beheimatete Podlasie Opera and Philharmonic Choir hat keine Berührungsängste mit Ausdrucksextremen. Dass allgemein der historisch informierte Originalklang auch bei Verdi mit neuen Hörerfahrungen einhergeht, weiß man seit John Eliot Gardiners "Falstaff" (1998). In letzter Zeit jedoch hat ärgerlich lange keiner mehr den Weg eingeschlagen, auf dem Fabio Biondi und seine galanten Musikerscharen jetzt mit einem Perfektionsgrad wandeln, der einfach nur verblüfft.
Giovanni Meoni, Bariton – Macbeth
Nadja Michael, Sopran – Lady Macbeth
Fabrizio Beggi, Bass – Banco
Giuseppe Valentino Buzza, Tenor – Macduff
Marco Ciaponi, Tenor – Malcolm
Valentina Marghinotti, Sopran – Dama di Lady Macbeth
Federico Benetti, Bass – Medico/Servo
Podlasie Opera and Philharmonic Choir
Europa Galante
Leitung: Fabio Biondi
Label: Glossa
Sendung: "Leporello" am 23. November 2018 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK