Mit zwölf Jahren gab Vilde Frang ihr Debut mit Oslo Philharmonic unter Mariss Jansons, kurz danach spielt sie Anne-Sophie Mutter im Gasteig vor – die beiden fast allein in dem riesigen leeren Saal. Mittlerweile ist die Norwegerin eine der renommiertesten Geigerinnen weltweit. Besonders engagiert sie sich für Musik des frühen 20. Jahrhunderts. So auch auf ihrer aktuellen CD, mit der sie konsequent ihren Weg verfolgt: keine Mätzchen, kein Populismus, sondern hundertprozentige Hingabe an die Musik, an die sie glaubt.
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Sie war 19, Geigerin. Er 26, Komponist. Er war verliebt in sie, sie nicht in ihn. Er schrieb ihr lange philosophische Briefe. Sie konnte nicht viel damit anfangen. Er hatte für sie ein Konzert komponiert, eines der schönsten Violinkonzerte überhaupt, ein Meisterwerk – ihr Porträt in Tönen. Sie sagte ihm, dass sie ihn nicht mehr sehen werde. Er schickte ihr das Konzert trotzdem – mit einer Widmung, die zugleich ein Abschied war. Der Komponist hieß Béla Bartók, die Geigerin Stefi Geyer. 1906 hatten sich die beiden kennen gelernt, im Jahr darauf hatte Bartók sein Erstes Violinkonzert begonnen. Stefi Geyer hob das Manuskript auf, bis zu ihrem Tod 1956 – ohne das ihr gewidmete Werk je öffentlich zu spielen. Erst 1958, zwei Jahre nach ihrem und 13 Jahre nach seinem Tod, wurde es schließlich uraufgeführt.
Vilde Frang spielt mit berührender Intensität. Schutzlos lässt Bartók die Sologeige beginnen, mit einer unbegleiteten Melodie, leise, zerbrechlich und innig. An diesen ersten Tönen entscheidet sich alles. Wer hier zu viel draufdrückt, sentimental statt gefühlvoll spielt, zerstört den Zauber. Und doch muss in diesen wenigen Tönen unendlich viel gesagt sein – mehr als Worte könnten. Schließlich handelt es sich um eine komponierte Liebeserklärung.
Vilde Frang hält die Balance: Ihr Geigenton ist farbig, klingt dicht und voluminös, aber nie dick oder gedrückt. Und im zweiten Satz, einem kapriziösen, streckenweise sarkastischen und ziemlich virtuosen Scherzo, beweist Vilde Frang ihre überragende Technik. Für mich gehört sie zu den ganz großen Geigerinnen der Gegenwart.
Zu den sympathischsten außerdem. Zum Beispiel, weil sie es nicht nötig hat, eine auf Stargeigerin zu machen. Vilde Frang interessiert sich für Musik, nicht für Virtuosenfutter. Sie liebt Kammermusik – und setzt nicht immer nur dieselben fünf Stücke aufs Programm, die sowieso schon alle rauf und runter spielen. Eine aufregende und stimmige Ergänzung zu Bartóks Erstem Violinkonzert ist das Oktett des rumänischen Komponisten George Enescu.
19 Jahre alt war er, als er das Stück im Jahr 1900 vollendete. Enescus Musik ist überbordend, ausdruckswütig, voller verrückter und einprägsamer Ideen. Ein Geniestreich, Spätromantik am Limit, mit einer seltsamen, sehr originellen Form. Vilde Frang hat dafür sieben ihrer Musiker-Freunde zusammengetrommelt, unter anderem vom Schumann- und vom Ebène-Quartett. Herausgekommen ist eine fantastische Aufnahme, technisch auf höchstem Niveau. Perfekt ergänzen sich draufgängerisches Engagement bei jedem einzelnen Spieler und Ensemble-Teamgeist. Zwei genialische Jugendwerke von Komponisten aus Südosteuropa – beide hoch emotional, beide zu wenig bekannt und beide exzellent gespielt. Eine tolle CD.
Bela Bartok:
Violinkonzert Nr. 1
George Enescu:
Oktett C-Dur, op. 7
Vilde Frang (Violine)
Orchestre Philharmonique de Radio France
Leitung: Mikko Franck
Erik Schumann, Gabriel LeMagadure, Rosanne Philippens (Violine)
Lawrence Power, Lily Francis (Viola)
Nicolas Altstaedt, Jan-Erik Gustafsson (Violoncello)
Label: Warner Classics
Sendung: "Leporello" am 16. Oktober 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK