Die Regeln des Kartenspiels "Tabu" sind einfach: Man muss einen Begriff erklären – ohne dabei fünf nahe liegende Wörter zu verwenden. Nehmen wir mal an, es gäbe eine Spezial-Edition "Musik". Auf der Karte "Spanische Musik" stünde dann sicher "feurig" mit drauf, auf der Karte "Harfenklang" das Wort "zart". Was macht also Xavier de Maistre auf seiner neuen CD "Serenata Espanola"? Genau, er bringt "feurig" und "zart" zusammen.
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Vierzehn Stücke, alle zwischen zweieinhalb und sechseinhalb Minuten lang, versammeln sich auf dem Album. Sie stammen von spanischen Komponisten aus drei Jahrhunderten, Schwerpunkt: Romantik. Die meisten sind Bearbeitungen, wurden ursprünglich für Klavier, Gitarre oder Orchester geschrieben. Original für die Harfe komponiert ist gerade mal eines: "Viejo Zortzico" von Jesús Guridi.
Möglicherweise sticht es deshalb heraus. Spieltechniken wie Arpeggio oder Glissando, also das Aufbrechen von Akkorden, bzw. das rasche Streichen über die Saiten, erzeugen den typischen Harfenklang – ja, auch diese beiden Begriffe stünden wohl auf der Karte unserer "Tabu"-Spezialedition. Vielleicht aber fällt Guridis Stück deshalb aus dem Rahmen, weil er der einzige Baske unter den Komponisten ist – und daher als einziger aus einer Region stammt, die nicht unter maurischem, also arabischem Einfluss stand. Diese Information spendiert übrigens der informative Booklet-Text.
Die CD "Serenata Española" bietet auch ein paar Hits: den "Danza española No. 1" von Manuel de Falla, "Recuerdos de la Alhambra" von Francisco Tárrega oder "Asturias" aus der "Suite española No. 1" von Isaac Albéniz. Sie alle kennt man in verschiedenen Versionen: für Klavier, für Orchester, aber vor allem: für Gitarre, also für das Instrument, das sinnbildlich für die "Spanische Musik" steht – Stichwort: "Tabu"-Karte. Xavier de Maistre überträgt Spieltechniken wie das typische Tremolo, die schnelle Tonwiederholung, auf seine Harfe.
Dadurch kommt er nah ran an den bekannten, fast schon zum Stereotyp gewordenen Gitarrenklang Spaniens. Aber sein körper- und saitenreiches Instrument und seine fein differenzierte Spielweise bewahren die Interpretationen vor Klischee und Kitsch. Xavier de Maistre will nicht einfach Gitarre auf der Harfe spielen. Er bietet etwas eigenes, bringt Leichtigkeit in die schwere spanische Mittagshitze, Feinheit in diese wohl lauteste Sprache der Welt. Man will hineinkriechen in den Lautsprecher und keine Tonperle verpassen.
Das Feuer fügt dann sie hinzu: ein spanisches Original, wenn auch in Mexiko geboren: Lucero Tena, ehemals berühmte Flamencotänzerin mit beeindruckender Zweitkarriere als Kastagnettenspielerin. Dieses Jahr wird sie achtzig. Durch die Zusammenarbeit habe sie ihm geholfen, ins Herz dieser speziellen Musik vorzudringen, schreibt der Harfenist. Ich sage: Die beiden Musiker ergänzen sich wie zwei Pole; gemeinsam haben sie eine jeweils ureigene Anmut. Und die überträgt sich beim Hören dieser CD. Vieles kann man dabei tun: Lesen, Bügeln, sich in den Süden träumen. Aber bitte nicht: lärmend "Tabu" spielen.
Werke von Manuel de Falla, Enrique Granados, Isaac Albéniz u.a.
Xavier de Maistre (Harfe)
Lucero Tena (Kastagnetten)
Label: Sony Classical
Sendung: "Leporello" am 7. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK