Seit dieser Saison sorgt Yannick Nézet-Séguin an der New Yorker Met für neuen Schwung. Seine Chefposten beim Philadelphia Orchestra und beim Orchestre Métropolitain de Montréal hat der 43-jährige Kanadier deshalb aber nicht aufgegeben. Von 2008 bis 2014 war Nézet-Séguin zusätzlich Erster Gastdirigent beim London Philharmonic Orchestra. Vom Ende dieser Ära stammen die vorliegendenLondoner Konzertmitschnitte mit Musik von Francis Poulenc.
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Wer würde sich nicht verzaubern lassen von Francis Poulencs eleganten, leichtfüßigen Melodien? Das gilt besonders für sein funkensprühendes Klavierkonzert, das Alexandre Tharaud mit Witz, Charme und Nonchalance in die Tasten meißelt. Urbane Eleganz trifft in diesem Konzert auf neoklassischen Esprit. Tharaud und Yannick Nézet-Séguin am Pult des London Philharmonic Orchestra spielen sich lässig die Bälle zu. Man fühlt sich bestens unterhalten von Poulenc, der sich mal Mozarts, mal Rachmaninows Maske überstreift.
In seinem Orgelkonzert dagegen bezieht sich Poulenc hörbar auf Bach. Machtvoll ragen die düsteren Anfangsakkorde auf, in die sich bald mystische Streicherklänge mischen. Klanggewaltig, aber auch subtil registriert der Organist James O’Donnell Poulencs Partitur, die auf Bläser verzichtet. Umso mehr sind hier die Londoner Streicher gefragt, die Nézet-Séguin zu rhythmischer Brillanz herausfordert.
Poulencs Katholizismus drückt sich vor allem in seiner "Stabat Mater"-Vertonung aus. Das mittelalterliche Gedicht über den Schmerz der Muttergottes am Kreuz Jesu hat Poulenc in vielfältige Miniaturen aufgeteilt: Das Spektrum reicht vom Trauermarsch bis zum innigen Gebet, vom Passions-Tonfall bis zum gregorianischen Gesang. Wunderbar klangvoll und intonationsrein singt der London Philharmonic Choir unter Nézet-Séguins animierender Leitung. Angesichts des Jüngsten Gerichts flehen die Stimmen in erregtem Tonfall Maria um Erbarmen an.
Die finale Hoffnung auf das Paradies hat Poulenc in ergreifend visionäre Töne gesetzt. Die erlesene Harmonik Poulencs kostet Nézet-Séguin mit seinen Londoner Musikern klangsinnlich aus, tröstliche Glanzlichter setzt die Sopranistin Kate Royal. Eine CD, die nachdenklich stimmt, trübe Novembertage aufhellt und gut in die Adventszeit passt.
Francis Poulenc:
Klavierkonzert cis-Moll
Konzert für Orgel, Streicher und Pauken g-Moll
"Stabat Mater" für Sopran, Chor und Orchester
Alexandre Tharaud (Klavier)
James O’Donnell (Orgel)
Kate Royal (Sopran)
London Philharmonic Choir
London Philharmonic Orchestra
Leitung: Yannick Nézet-Séguin
Label: LPO
Sendung: "Leporello" am 22. November 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK