Weltpremiere der besonderen Art: Für die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Freiburg durften Bewerber aus Asien erstmals auf einem ferngesteuerten Piano vorspielen. Die Töne wurden aus Shanghai und Tokio direkt auf ein Klavier in Freiburg übertragen. Eine verblüffende Technik, die auch beim Unterrichten helfen kann.
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Bildquelle: Yamaha
Es ist ein Dilemma: Die Aufnahmeprüfungen an den Musikhochschulen stehen vor der Tür, doch viele talentierte internationale Bewerber können wegen der Corona-Pandemie nicht anreisen. Was tun? Prüfungen per Video-Livestream durchführen, mit schwankender Klangqualität? Eine Variante. Die Hochschule für Musik in Freiburg hat – als erste Musikhochschule weltweit – eine andere Technologie für das Aufnahmeverfahren ausprobiert: Klavier-Bewerber aus Asien dürfen ihr Prüfungsprogramm auf einem sogenannten Disklavier spielen.
Dieses Piano der Marke Yamaha registriert über Lichtsensoren die Tasten- und Pedalbewegung und überträgt das Klavierspiel als hochauflösende MIDI-Daten in Sekundenbruchteilen auf ein weiteres Disklavier – im Fall der Aufnahmeprüfung in den Mathilde-Schwarz-Saal der Freiburger Musikhochschule. Für den optischen Eindruck filmten die Teilnehmer ihren Vortrag zusätzlich noch mit einer Videokamera. "Man hatte das Gefühl, als sei der Bewerber wirklich im Raum", schwärmt Christoph Sischka, Professor für Klavier und Methodik an der Freiburger Musikhochschule, im Interview mit BR-KLASSIK. "Da war keine Zeitverzögerung, kein Rauschen, wie es beim Streamen ab und zu vorkommt, sondern ein echter Flügel, der spielte und den Ton direkt bei uns im Raum erzeugte."
Allein aus ökologischer Sicht lohnt sich das ferngesteuerte Klavier.
Bis zu 1024 Abstufungen pro Tastenbewegung misst das Disklavier. Die künstlerische Interpretation wird also quasi identisch wiedergegeben. Drei von rund zweihundert Klavier-Bewerbern nutzten diese neue Technologie. Dafür hatte die Musikhochschule Freiburg Kontakt zu den Yamaha-Zentren in Shanghai und Tokio aufgenommen, die jeweils dort vor Ort ein Disklavier für die Prüfung zur Verfügung stellten. Ein Projekt, das aus der Not heraus entstand. Christoph Sischka kann sich aber durchaus vorstellen, auch in Zukunft Aufnahmeprüfungen per Disklavier anzubieten. "Allein aus ökologischer Sicht lohnt es sich, wenn nicht alle internationalen Bewerber nach Deutschland fliegen müssen, nur um einmal vorzuspielen." Aber natürlich müssen solche Prüfungen gut organisiert werden. "Wir bräuchten überall auf der Welt Prüfungsorte mit Disklavieren, die mit uns kooperieren, Einspielräume für die Pianisten, Betreuer, Headsets ..."
Einen Wettbewerb mit ferngesteuerten Klavieren gibt es bereits seit 2002, durchgeführt von der University of Music in Minnesota. Elton John gab 2013 ein Konzert mit dem Disklavier für 23 Orte in 11 Ländern. Auch die Freiburger Musikhochschule setzt das Disklavier bereits seit 15 Jahren ein – für Tele-Konzerte und zum Unterrichten. "Meine Schüler können ein Stück auf dem Klavier einspielen, dann durch den Raum gehen und sich selbst beim Spiel zuhören, während sich die Tasten bewegen", erzählt Christoph Sischka. "Der Lerneffekt ist enorm: Wie klinge ich im Raum? Wie ist mein Anschlag wirklich? Man kann das Stück auch langsamer abspielen lassen und sein Spiel genau analysieren." Aus Zeitgründen kann zwar nicht jede Unterrichtsstunde so ablaufen. Aber für besondere Anlässe, etwa eine Prüfungsvorbereitung, greift Christoph Sischka gern auf das ferngesteuerte Klavier zurück. "Die Studenten werden sozusagen ihre eigenen Lehrer und können sich selbstständig vorbereiten. Das ist eine tolle Sache!"
Sendung: "Allegro" am 17. Juni 2020 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK