Nein, feiern kann man den Jahrestag des ersten Corona-Lockdowns im März 2020 wahrlich nicht. Man denke nur an die gefährlichen Aerosole beim Ständchen trällern ... Aber erinnern sollten wir uns, meint Peter Jungblut. Rückblick auf ein Jahr im Ausnahmezustand.
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Wetten, Sie können sich an ihren allerersten Geburtstag auch nicht so genau erinnern? Wahrscheinlich haben Sie ihn sogar verschlafen, weil Sie vom Laufen lernen total außer Puste waren und deshalb die eine Kerze auf der Torte sich selbst überließen. Vielleicht sollten wir das zum ersten Jahrestag des Lockdowns ebenso machen. Obwohl, zwei Mal "Happy Birthday" singen steht dem Virus ja eigentlich zu – jedenfalls mit Seife und viel Wasser, wie wir von den Hygiene-Experten wissen.
Zwar haben wir mit dem Erreger ja schon vor längerer Zeit ausgemacht, dass wir uns gegenseitig nichts schenken wollen, aber eine Kleinigkeit können wir ihm ruhig trotzdem in die Wiege legen: Aufmerksamkeit. Er schickt uns ja auch ständig kleinere und größere Mutationen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Und wie das so ist mit Verlegenheits-Geschenken: Manche geben sie einfach weiter. Allerdings bleiben Mutationen anders als Schnaps-Pralinen frisch.
Nun erwartet ja keiner, dass wir den Jahrestag des Lockdowns groß feiern, etwa mit einem Streichquartett für Theater, Oper, Konzerthäuser und Einzelhandel oder einer Ode auf Wuhan. Auch festliche Einweg-Kleidung und Programmhefte sind verzichtbar. Oder wollen Sie vor Beginn der dritten Welle die Besetzung nachlesen?
Die Regie soll Jens Spahn übernommen haben, der ja selten ein Stück so belässt, wie es die Ministerpräsidenten komponiert haben. Meist verlegt er die Handlung in die Zukunft, weshalb viele Zuschauer das Gefühl haben, es passiert nichts, obwohl sie Musik hören. Das ist aber nur das Handyklingeln von Christian Drosten. Sie müssen nicht drangehen, er hat nämlich nach eigener Aussage einen Hang zum Düsteren und spielte einst Gitarre in der Heavy-Metal-Band "Verfluchte Erde". Immerhin, diese Prophezeiung hat sich rein virologisch erfüllt. Barockmusik liebt Drosten übrigens auch, und die kündet ja bekanntlich von der Vergeblichkeit allen menschlichen Daseins – sonst hätte Henry Purcell wohl kaum ein Lied vertont, das frei übersetzt den Titel hat: "Nach Pocken und Pest feiern wir ein Fest".
Ist jetzt vielleicht noch etwas früh dafür, aber Sie können sich ja schon mal Gedanken machen, ob es überhaupt noch Gäste gibt, die Sie einladen wollen, nicht müssen. Nach einem Jahr Lockdown haben wir uns ja alle daran gewöhnt, ständig mit Menschen zu feiern, die keine andere Wahl haben, also mit unserer eigenen Familie. Und die verwechselt Partys ja ständig mit Quarantäne, weshalb auch meistens keiner tanzt.
Begehen wir ein Jahr Lockdown also besser ganz gemütlich allein und schmökern in den Untergangsprophezeiungen von Nostradamus und Karl Lauterbach. Dann können Sie sich wenigstens zwischen Aszendenz und Inzidenz entscheiden. Das eine hat mit den Sternen zu tun, das andere mit Konzernen. In beiden Fällen sind wir geliefert, fragen Sie AstraZeneca. Aber wahrscheinlich glauben Sie gar nicht an Horoskope, sondern lassen sich Ihre Zukunft von Angela Merkel schnelltesten.
Sendung: "Allegro" am 12. März 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK