Selten trifft die Bezeichnung "lebende Legende" so wie für Martha Argerich. Am 5. Juni wird die in Buenos Aires geborene Pianistin 80 Jahre alt – kaum zu glauben. Für BR-KLASSIK-Redakteurin Meret Forster ist "La Martha" vor allem mit einem Komponisten verbunden: mit Robert Schumann.
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Es gibt Geschenke, die bleiben, und: Geschenke mit Nach- und Nebenwirkungen. Dazu zähle ich eine Langspielplatte mit Klaviermusik von Robert Schumann: den "Kinderszenen" und der "Kreisleriana". Diese Zyklen im Doppelpack, aufgenommen von Martha Argerich, habe ich als Kind zum Geburtstag geschenkt bekommen. Ich hatte damals noch keine Vorstellung von dieser Musik oder dieser Interpretin. Klaviermusik war halt meins, verbunden mit dem Wunsch nach Klavierstunden. Letztere sollte ich erst später bekommen.
Es blieb vorerst die Vinyl-Schallplatte, die in jenem Sommer auch an heißen Augusttagen mehrfach aufgelegt und umgedreht wurde. Und so war irgendwann ganz unbewusst der Punkt erreicht, an dem diese Schumann-Werke mit Martha Argerichs Spiel in meinem Gedächtnis verschmolzen sind. Diese Interpretation hat sich festgesetzt. Gnadenlos. Schumanns op. 15 und op. 16 gingen dann auch nur noch mit Martha. Selbst ein Horowitz, der die "Träumerei" aus den "Kinderszenen" immer wieder gerne als geistreiche Zugabe spielte, hatte es schwer daneben. Schumann war Martha und blieb Martha. Und auch wenn das alles Jahre her ist und sich durch viele unterschiedliche Höreindrücke differenziert und zugleich relativiert hat, ist da immer noch eine unauslöschliche Intoleranz geblieben. Gerade mit Blick auf Schumann.
Wenn Martha Argerich & Friends etwa mit Schumanns wunderbarem Klavierquintett oder dem Klavierquartett zu erleben sind, ich mit Konzertmitschnitten dieses Repertoires konfrontiert werde oder mit Argerich-Aufnahmen von Schumanns g-Moll-Klaviersonate, dann setzt eine bestimmte Kritikunfähigkeit ein. Argerichs phänomenale Technik, die Leichtigkeit, mit der sie schwierigste Passagen scheinbar mühelos – bis heute! – bewältigt und dabei virtuos und ganz nebenbei Pedale einsetzt und Klangschattierungen zaubert, haut mich um, überwältigt mich einfach. Diese ungestüme, oft nervöse Art ihres Klavierspiels passt für mich kongenial mit den Empfindungswelten von Schumanns Klavier- und Kammermusik zusammen. Die Noten werden in Marthas Händen in gegensätzliche Stimmungen verwandelt auf den Spuren der Schumann'schen Fantasiefiguren, dem stürmischen Florestan und in sich gekehrten Eusebius, Humor, Schmerz, Gesanglichkeit und Vitalität kommen in einem Maße zum Zuge, der einzigartig ist.
Dass sie, die Löwin, die Grand Dame des Klaviers, jetzt ihren 80. Geburtstag feiert, mag und kann ich kaum glauben. Denn über die Jahre hinweg ist ein lebendig unsteter und genialer Wesenszug im Spiel dieser außergewöhnlichen Musikerin jung und unverwechselbar geblieben. Langjährige Weggefährten wie der Geiger Gidon Kremer oder der Cellist Mischa Maisky wissen: Mit Martha zu musizieren, hieß immer schon, offen zu sein für mögliche Kühnheiten, vor allem auf dem Konzertpodium. Und das immer wieder und gerne mit Schumann. Nicht nur zum Geburtstag!