Beim diesjährigen ARD-Musikwettbewerb spielten zum 14. Mal junge Klarinettisten und Klarinettistinnen um die Wette. 59 Teilnehmer traten gegen- und miteinander an, um einen der begehrten Preise zu gewinnen – so viele, wie in keinem anderen Fach: Ein Stresstest für die jungen Musiker, die Juroren und unseren Reporter.
Als ich vor Beginn des ARD-Wettbewerbs einen Blick auf den Ablaufplan im Fach Klarinette warf, musste ich erst mal tief durchatmen: 20 Kandidaten standen im ersten Durchgang täglich auf der Bühne im Münchner Carl-Orff-Saal – drei Tage lang jeweils von 10 Uhr morgens bis 21.30 Uhr. Während ich meinen Ohren immer wieder eine kleine Verschnaufpause gönnen konnte und den einen oder anderen Teilnehmer hinter der Bühne zum Gespräch bat, wurde den sieben Juroren permanente Konzentration abverlangt. Eine Aufgabe, die allen dank des erhöhten Kaffeekonsums bewundernswert gelang, wie mir Jury-Mitglied Shirley Brill verriet.
Für die einen ist der Wettbewerb die Chance, sich auszuprobieren und mal zu schauen, was die Kollegen im Fach so treiben. Die anderen sehen darin ein Sprungbrett für ihre Karriere und möchten sich vor einer hochkarätigen Jury und einem großen Publikum präsentieren. Der Druck, der auf den Schultern der Kandidaten lastet, ist dementsprechend groß. Denn es gibt nur wenig internationale Wettbewerbe im Fach Klarinette, wie mir die Teilnehmer bestätigten, und erst recht keinen von dieser Größenordnung.
Für mich als Musikjournalist ist der ARD-Musikwettbewerb jedenfalls die stressigste und zugleich aufregendste Zeit des Jahres. Für rund zwei Wochen bin ich völlig raus aus dem Berufsalltag und gleite hinein in die Lebenswirklichkeit junger, ambitionierter Musiker und Musikerinnen. Ich höre nicht nur neue, interessante Musik, sondern begleite die Interpreten über die gesamte Wettbewerbszeit und komme ihnen so sehr nahe. Ich lerne ihre Träume kennen, ihre Hoffnungen und auch ihre Ängste.
Ich erinnere mich an ein sehr intensives Gespräch mit dem Südkoreaner Han Kim, der mir erzählte, wie er als 11-jähriger zu einem kleinen Kinderstar in seinem Heimatland wurde, weil seine Eltern Videos von seinen ersten Wettbewerbsauftritten im Internet hochgeladen hatten. Über Nacht avancierte er zum Klick-Millionär auf Youtube und wurde plötzlich von einer medialen Flutwelle getroffen, die über ihn hereinbrach. Erst im Studium bei Sabine Meyer in Lübeck konnte er wieder zu sich und seiner Musik finden und sich vom äußeren Erwartungsdruck freimachen. Am Ende wurde er nicht nur mit dem Publikumspreis ausgezeichnet, sondern gewann mit Carlos Alexandre Brito Ferreira auch den 2. Preis im Fach Klarinette. Eine Auszeichnung, die ihn zudem vom Militärdienst in Südkorea befreit, den er sonst bald hätte antreten müssen.
Zum Teil sind es auch dramatische Bilder, die mir von diesem Wettbewerb in Erinnerung bleiben werden. Zum Beispiel von Blaz Sparovec, der am Ende des zweiten Durchgangs in einem völlig blutverschmierten Anzug und mit blutgetränktem Rohrblatt von der Bühne ging. Die Nase des Slowenen hatte plötzlich angefangen zu bluten, immer wieder griff er zu seinem Stofftaschentuch und versuchte die Blutung zu stoppen, bis er aussah wie James Bond nach der finalen Schlacht. Doch mit bewundernswertem Durchhaltevermögen kämpfte er sich trotzdem durch die Brahms-Sonate und wurde am Ende sogar mit dem Einzug ins Semifinale belohnt.
Am Ende des ARD-Wettbewerbs stand ein historisch gutes Ergebnis im Fach Klarinette: zwei zweite Preise und ein erster Preisträger mit dem 25-jährigen Franzosen Joë Christophe. "Das Ergebnis spiegelt das hohe Niveau im gesamten Wettbewerb wider", sagte mir Jurorin Nina Janßen-Deinzer nach dem Finale. Ich kann mich diesem Urteil nur anschließen und freue mich, dass die Jury so klar geurteilt hat. Denn auch unter den Musikern und Musikerinnen, die es nicht bis ins Finale geschafft haben, gibt es erstklassige Klarinettisten. Und ich bin schon sehr gespannt, den einen oder anderen aus dem Teilnehmerfeld in den nächsten Jahren als Solist oder im Orchester auf der Bühne zu sehen.
Sendung: "Allegro" am 12. September 2019 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK