Er sagte einmal, er habe den Tango "einer ästhetischen Operation unterzogen". Und so machte er aus dem "Klang der Kaschemmen" Kammermusik. Vor 100 Jahren, am 11. März 1921 wurde der argentinische Komponist und Bandoneon-Spielers Astor Piazzolla geboren.
Er war schon über 30 und hatte ein Stipendium für Paris. Da nahm er Unterricht bei der berühmten Kompositionslehrerin Nadia Boulanger. Die war damals Mitte 60 und eine Autorität mit großer Ausstrahlung: Weggefährtin von Größen wie Igor Strawinsky und Maurice Ravel, Lehrerin weltberühmter Komponisten, wie Aaron Copland und Leonard Bernstein. Ihre Wohnung in Paris war ein Treffpunkt der französischen Musikwelt. Nun also sollte jener Mann aus Argentinien zum Kreis ihrer Schüler stoßen, der einen ganzen Koffer voll eigener Partituren mitbrachte: Astor Piazzolla. Sie nahm sich wochenlang Zeit, seine Stücke durchzugehen, und sagte ihm dann: Sie könne den Geist darin nicht finden. Dann erst rückte Piazzolla damit heraus, dass er eigentlich vom Tango herkomme und als Hauptinstrument Bandoneon spiele. Sie ließ sich auf dem Klavier einen seiner Tangos vorspielen – legte dann Piazzollas Hände in ihre und sagte: "Das ist der wahre Piazzolla. Geben Sie es nie auf."
Es war, als würde ich bei Mama studieren.
Der Weg zu diesem Glanz war alles andere als selbstverständlich. Astor Piazzolla wurde am 11. März 1921 als Kind eines aus Italien stammenden Elternpaars geboren. Als er vier war, wanderte die Familie wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage aus: Sie ging nach New York, wo der Vater im Viertel Greenwich Village durch seine italienischen Kontakte Arbeit als Friseur fand. "Ich wurde in Argentinien geboren, aber ich wuchs in New York auf", sagte Piazzolla denn auch später bei einem berühmt gewordenen Konzert im Central Park vom 6. September 1987. Nur einige Jahre blieb die Familie in New York, aber diese Jahre waren prägend. Der Vater hörte jeden Abend Tango-Musik und kaufte für den Sohn ein Bandoneon. Der interessierte sich mehr für Sport und war enttäuscht, als der Vater ihm einen Karton mit einem Geschenk präsentierte und sich darin nicht, wie er gehofft hatte, Rollschuhe fanden, sondern ein seltsames Instrument mit einem Blasebalg und Knöpfen. Noch dazu das Instrument jener Musik, die er immer unfreiwillig mithören musste. Das Bandoneon, das Hauptinstrument des Tango, war im 19. Jahrhundert von dem Deutschen Heinrich Band erfunden worden und über Umwege in die Kaschemmen von Buenos Aires und Montevideo gelangt, von wo es eine ganz eigene Karriere startete. Es dauerte, bis der jugendliche Astor Piazzolla sich mit diesem Instrument anfreundete. Im Schulunterricht hatten ihn Brahms und Mozart begeistert. Später entflammte er für die Musik Johann Sebastian Bachs – und lernte viele von Bachs Stücken auf dem Bandoneon zu spielen.
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Bildquelle: Bayerischer Rundfunk
Als er sich später, wieder in Argentinien, bei dem Bandleader und Bandoneonisten Aníbal Troilo bewarb, bei dem er von 1939 an auch spielte, sagte der, nachdem Piazzolla ihm Bach auf dem Bandoneon vorgespielt hatte: Spiel mir einen Tango! Natürlich engagierte Troilo den sehr begabten jungen Mann, der dann fünf Jahre lang bei ihm blieb, danach aber zunächst als freischaffender Solist arbeitete und 1946 schließlich sein eigenes Tango-Orchester gründete, das drei Jahre lang bestand. Er begann dann auch Werke für kammermusikalische und orchestrale Besetzungen zu schreiben, darunter 1954 eine "Sinfonietta", mit der er jenes Paris-Stipendium gewann, bei dem er Unterricht bei Nadia Boulanger nahm. Dieser Aufenthalt brachte ihn dazu, seinen eigenen Stil zu schärfen und zu perfektionieren.
Meine Musik gibt zu denken. Denen, die Tango lieben, und denen, die gute Musik mögen.
Denn Piazzollas Musik ist keine Tanzmusik, sondern konzertante Musik, Musik zum Zuhören. Das gilt für seine markant-zackigen, dann wieder melancholischen Einzelstücke wie "Libertango" oder "Escualo", aber auch für größere Werke wie die Oper in 16 Bildern "Maria de Buenos Aires" von 1968. "Libertango" von 1973 ist vom Titel her programmatisch: Das Wort ist aus "Libertad" und "Tango" zusammengezogen, meint also einen Tango, der sich von traditionellen Fesseln befreit hat – und damit Piazzollas Gesamtwerk, den Neuen Tango. Häufig musste sich Piazzolla in Argentinien rechtfertigen für seinen freien Umgang mit der Musik. Er sagte daraufhin, spürbar gekränkt: Das Parfum des Tango reiche eigentlich nur bis zur Ringstraße von Buenos Aires. Er aber, Piazzolla, habe den Tango einer ästhetischen Operation unterzogen. Er habe den Tango gerettet. Sicher ist: Ohne den konzertanten Kompositionen Piazzollas hätte dieses Musikgenre weltweit nicht so viele Musiker fasziniert, die es in die Zukunft weitertragen. Piazzolla hat den Tango von traditionellen Fesseln befreit und ihm Flügel verliehen, um über die genannte Ringstraße hinaus zu gelangen. Er sagte unter anderem: "Ich habe studiert bis zum Umfallen. Ich bin hundert Mal gegen die Wand gelaufen und hundert Mal wieder aufgestanden, und deshalb bin ich der, der ich bin." Und: "Ich bin ein Tango-Mann. Aber meine Musik gibt zu denken. Denen, die Tango lieben, und denen, die gute Musik mögen."
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Bildquelle: Alescha Birkenholz
Piazzolla holte sich nicht nur Inspirationen aus der klassischen Musik, sondern auch vom Jazz. Sein Album "Summit" von 1974 mit dem Baritonsaxophonisten Gerry Mulligan nannte er "eines der schönsten Dinge in meinem Leben". Dem Jazz war er bereits in New York begegnet, und er schätzte diese vitale Musik, die in ihrem starken emotionalen Ausdruck und ihrer rhythmischen Prägnanz große Verwandtschaft zum Tango hat. Dem Journalisten Natalio Gorin, Verfasser von Piazzollas "Erinnerungen", sagte er: "Für die Tangueros der vierziger Jahre war Jazz immer ein böses Wort, was ich für einen furchtbaren Irrtum hielt, denn es gibt ja viele Berührungspunkte. (…) Ich war begeistert vom Klang des Orchesters von Stan Kenton, vom Rhythmus, den es hatte. Das war es, was ich machen wollte, mit ähnlichen Harmonien arbeiten, aber mit einem Unterschied. Anstelle von Bläsern habe ich Streicher und Bandoneons. Wenn ich einmal Trompeten, Posaunen und Saxophone einsetzte, war das Resultat entsetzlich."
"Was heute geschah: Astor Piazzolla wird geboren"
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"Der Tangokönig - Astor Piazolla zum 100. Geburtstag"
"Mittagsmusik" vom 8. bis 12. März 2021 ab 12:05 Uhr
"Libertango" - Hommagen an den argentinischen Bandoneon-Meister und Komponisten Astor Piazzolla"
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"Der Revolutionär des Tango"
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