Die städtische Musikschule in Mühldorf am Inn ist eine der wenigen Orte in Deutschland, wo man Bandoneon-Unterricht bekommt. Zusammen mit dem dortigen Leiter hat es sich der Argentinier Facundo Hernán Barreyra zur Aufgabe gemacht, die Musik des "Tango Argentino" nach Bayern zu bringen. Dazu fährt Barreyra auch immer wieder nach München und gibt Privat-Unterricht. BR-KLASSIK hat ihn bei einer solchen Bandoneon-Stunde im Wohnzimmer einer Schülerin besucht.
Der Argentinier Facundo Hernán Barreyra gießt sich einen Schluck Mate-Tee ein. Er trinkt ihn aus dem traditionellen lateinamerikanischen Trinkgefäß, der kleinen Kalebasse mit Metall-Trinkröhrchen. Das gehört für ihn zur richtigen Tango-Stimmung dazu – der Bandoneon-Unterricht kann beginnen. Facundo unterrichtet heute Daniela und Eberhard. Die drei haben sich für die Stunde in Danielas Wohnung in München verabredet. Normalerweise unterrichtet Facundo Barreyra in Mühldorf am Inn an der städtischen Musikschule. Das ist eine der wenigen Musikschulen in Deutschland, die überhaupt Bandoneon-Unterricht anbietet. Zusammen mit dem Leiter der Musikschule hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Musik des "Tango Argentino" nach Bayern zu bringen. Sogar der Konzertsaal der Musikschule wurde vor kurzem nach dem Tangokomponisten und Bandoneonisten Astor Piazzolla benannt.
Für Privatstunden fährt Facundo aber auch ab und zu nach München. Zu Daniela oder Eberhard zum Beispiel, die er seit fast zwei Jahren unterrichtet. In Danielas geräumigem Wohnzimmer ist genug Platz, um mit ausreichend Abstand zu musizieren. Facundo gibt seine Anweisungen vom Ecksofa aus und nippt dabei an seinem dampfenden Mate-Tee. Das Stück, das seine Schüler heute lernen, hat er speziell für seinen Bandoneon-Unterricht geschrieben: "Encuentro Maisach", zu deutsch "Treffen in Maisach". Es besteht vor allem aus drei Komponenten: Zu einer Begleitung, in der die zwei wichtigsten Rhythmen, das "Marcato" und die "Sincopa" gespielt werden, erklingt eine leichte Melodie von einem weiteren Instrument.
Die größte Herausforderung ist die Tonfolge der Tasten. Das Bandoneon hat 142 Töne, meist wechseltönig: Je nachdem, ob der Balg auseinandergezogen oder zusammengedrückt wird, erklingt ein anderer Ton. Hinzu kommt, dass es durch die Entstehungsgeschichte des Bandoneons keine systematische Anordnung der Töne gibt. Denn vom ursprünglichen Instrument ist der Tonumfang mit der Zeit immer weiter gewachsen, so dass sich aus einem logischen Kern eine chaotisch scheinende Tonfolge etabliert hat. Eberhard findet, dass man "dieses Chaos erstmal durchblicken muss, dann ist es nicht mehr chaotisch. Aber so weit sind wir jetzt – also ich – noch nicht."
Die Gründe für das Verschwinden des Bandoneons in Deutschland sind vielfältig. Dazu gehört, dass das Bandoneon als Volksmusikinstrument schwer zu spielen ist. Deshalb bevorzugten viele bald das leichter spielbare Akkordeon und die Handharmonika. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren außerdem viele Bandoneonisten gefallen und das Material für den Bau der Instrumente war auch rar. Die Enteignung der Fabriken zu DDR-Zeiten besiegelte den Niedergang.
Anders verlief die Entwicklung in Argentinien. Als Ende des 19. Jahrhunderts viele Europäerinnen und Europäer dorthin auswanderten, waren darunter auch viele Deutsche. Die Bandoneonfabrik von Alfred Arnold produzierte extra für den argentinischen Markt und exportierte bis 1945 um die 30.000 Instrumente. Bis heute sind die meisten dieser historischen Bandoneons in Argentinien oder Uruguay zu finden.
Das Bandoneon ist die Seele des Tango!
Facundo Barreyra arbeitet nun daran, das Bandoneon in Deutschland wieder heimisch zu machen. Denn das Bandoneon sei ein ganz besonderes Instrument, ohne das der Tango gar nicht denkbar wäre: "Die Musik ist nicht glücklich oder traurig. Die Leute sind glücklich oder traurig, weil sie zum Beispiel ihr Land verlassen mussten. Und das Bandoneon kann diese Gefühle wiedergeben. Das Bandoneon ist die Seele des Tango – es gibt keinen Tango ohne Bandoneon!"
Sendung: "Leporello" am 20. Dezember 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK