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Dirigent Bernard Haitink gestorben Die Kunst des Weglassens

Bernard Haitink war ein Mann, dessen musikalische Reife im Alter noch wuchs, obwohl sie ihm schon in jungen Jahren gegeben war. Unter den zahlreichen Aufnahmen des Dirigenten stechen vor allem seine Bruckner- und Mahler-Interpretationen heraus. Am 21. Oktober ist der Musiker im Alter von 92 Jahren gestorben, wie seine Agentur meldet.

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"Die Gefahr in diesem Beruf ist, dass mit all dem organisatorischen Getue und öffentlicher Meinung und Druck von Organisation, dass man musikalisch austrocknet und nur noch ein Taktschläger, ein Luftsortierer wird. Und das will ich um jeden Preis vermeiden" – das war das Credo von Bernard Haitink.

"Handwerker unter Handwerkern"

Die Niederlande haben bisher keine vergleichbar starke Dirigentenpersönlichkeit hervorgebracht wie Bernard Haitink. In seiner Generation ist das Gegenteil von Eitelkeit unter international renommierten Dirigenten selten anzutreffen gewesen. Er aber hat sich immer vollkommen unprätentiös und sachdienlich bedeutende Partituren erarbeitet. Als "Handwerker" unter "Handwerkern" fühlte er sich. Kein Wunder, dass er als Tutti-Geiger begann. Bei aller Energie im Bewegungsablauf war ihm als Dirigent nichts so fremd wie das Selbstverliebte eines Taktstockvirtuosen. Auch monumentale Sinfonien gerieten in den Händen Haitinks kaum jemals ausufernd. Klassisches Ebenmaß und wohlproportionierter Formsinn schienen selbst kolossalen Instrumentalgebäuden eingraviert, wo sich bei anderen Interpreten das Extraordinäre und Exzentrische in den Vordergrund schob.

Die Kunst des Dirigierens wäre auch ein bisschen die Kunst des Weglassens, meinte Haitink: "Man fängt an, und ich gehöre auch dazu, dass man viel unnötige Sachen macht als Dirigent, und dass es nicht so ist, dass einem Orchester das nichts nützt, aber dass es auch destruktiv sein kann. Und man muss sich kümmern als Dirigent, dass man mit weniger mehr erreicht. Natürlich muss man ein Orchester leiten, aber noch wichtiger ist, dass man ein Orchester motiviert und inspiriert."

Die Kunst des Dirigierens ist auch ein bisschen die Kunst des Weglassens.
Bernard Haitink

Hellwach mit kühlem Kopf

Bernard Haitink war ein Mann, dessen musikalische Reife im Alter noch wuchs, obwohl sie ihm schon in jungen Jahren gegeben war. Ob als Chef des Concertgebouworchesters Amsterdam, der Dresdner Staatskapelle oder des London Philharmonic Orchestra; ob als Gast beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, bei den Berliner oder Wiener Philharmonikern, auch bei US-amerikanischen Klangkörpern der Spitzenklasse: Haitink übte hellwach mit kühlem Kopf Kontrolle aus – und kam Mozart ebenso nahe wie Strauss, Schostakowitsch ebenso nahe wie Brahms.

Als musikalischer Direktor des Glyndebourne Opera Festival und des Royal Opera House im Londoner Covent Garden widmete Haitink seine Erfahrung gelassen ambitionierten Bühnenwerken, deren Orchesterpart vielfältig und ergiebig ist: Wagners "Ring"-Zyklus etwa, den es auf CD mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Haitink gibt. Unter den Tondokumenten des Dirigenten sind die Bruckner- und Mahler-Interpretationen für die Nachwelt am wichtigsten. Es ging Haitink nicht um die Mitteilung seiner persönlichen Sicht auf Bruckner oder Mahler, immer um Bruckner oder Mahler selbst. Gerade das Werk dieser beiden Komponisten hat sich über Jahrzehnte hinweg als sein Lieblingsobjekt interpretierender Anstrengung herauskristallisiert.

Sendungen: 
"Allegro" ab 6:05 Uhr und "Klassik-Stars" ab 18:05 Uhr am 22. Oktober 2021 auf BR-KLASSIK
"Konzertabend" am 22. Oktober 2021 ab 20:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Bernard Haitink dirigiert Brahms' "Deutsches Requiem" am 24. Oktober 2021 ab 09:40 Uhr im BR Fernsehen
"Symphonische Matinée" ab 10.05 am 24. Oktober 2021 auf BR-KLASSIK