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Kritik - "Der Medicus" am Deutschen Theater in München Die Ratte muss schuld sein

Der heldenhafte Rob Cole bringt es im Roman von Noah Gordon vom englischen Kurpfuscher zum genialen Arzt im persischen Isfahan - und setzt sich in Schottland zur Ruhe, soweit das um 1050 möglich war. Als Musical funktioniert das wider Erwarten gut.

Bildquelle: Spotlight Musicals

Na klar, alles, was aus Fulda kommt, hat irgendwie mit Religion zu tun. Nicht von ungefähr tagt dort jedes Jahr im Herbst die katholische deutsche Bischofskonferenz, fuhr die CDU bis vor kurzem dort Traumergebnisse ein, werden dort Musicals gezeigt mit so frommen Titeln wie "Bonifatius" oder auch "Die Päpstin".

Szene aus "Der Medicus" am Deutschen Theater | Bildquelle: Spotlight Musicals

Logischerweise geht's auch im "Medicus" nach dem 700-seitigen Erfolgsroman von Noah Gordon um Religion, was sonst. Und natürlich zerfällt am Ende das islamische Isfahan, diese prächtige persische Stadt, wie Sodom und Gomorrha in Schutt und Asche. In Fulda gilt wohl die Regel: Bauchtanzen muss bestraft werden! Allerdings wurde Isfahan tatsächlich 1051 von den Seldschuken überrannt, das geht also historisch in Ordnung. Und rein medizinisch stimmt auch Rob Coles Diagnose, dass die Ratten an der Pest schuld sind, die die Stadt heimsucht: An ihnen ernähren sich schließlich die Flöhe, die die Seuche übertragen. Soviel Aufklärung war im 11. Jahrhundert zwar noch nicht verbreitet, genauso wenig wie Leichenöffnungen, aber einer muss ja den Anfang machen. Die anatomischen Skizzen hebt Robs Sohn einfach auf, bis sich jemand dafür interessiert.

Botschaften, wie sie in Fulda gern gehört werden

Der christliche Held, der sich unter Moslems vorübergehend als Jude tarnen muss, darf am Ende im grünen Schottland im Kreise seiner Familie glücklich werden. Ja, das ist eine reichlich kitschtriefende Handlung mit sehr einfachen Botschaften, wie sie in Fulda sicher gern gehört werden, aber ganz gegen die Erwartung funktionierte das auf der Bühne des Deutschen Theaters München hervorragend, obwohl der Abend deutlich über drei Stunden in Anspruch nahm. Zum einen spielt in München das Orchester live, anders als im Schlosstheater von Fulda, wo der Medicus vor zwei Jahren, im Juni 2016, uraufgeführt wurde. Außerdem stimmten Ton- und Bühnentechnik. Alle Umbauten, und das waren nicht wenige, klappten reibungs- und geräuschlos.

Ausstattung erinnert an DEFA-Märchen

Szene aus "Der Medicus" am Deutschen Theater | Bildquelle: Spotlight Musicals

Die Ausstattung von Bühnenbildner Christoph Weyers ist optisch eine Mischung aus dem Mittelalter-Grusel von "Spamalot" ("Die Pest ist in der Stadt") und dem Morgenland-Zauber vom "Dieb von Bagdad" - herzig gemalte bunte Kulissen wie aus Filmen der frühen Farbfilmzeit mit dazu passenden heimeligen Kostümen von Ulli Kremer. So verfilmte seinerzeit die DEFA in der DDR ihre Märchen, und das ist ausdrücklich nicht als Spott zu verstehen, sondern in sich durchaus stimmig und familiengeeignet.

Der gebürtige Fuldaer und umtriebige Komponist Dennis Martin ließ sich dazu allerlei Schlagermusik einfallen, die von Schottland über den Balkan bis in den Nahen Osten führt, ohne freilich wirklich folkloristisch zu werden. Er legte vielmehr einen Dancefloor-Teppich aus, auf dem die Ohren getrost auf und abschreiten können, ohne jemals irritiert zu werden. Dazwischen perlen sentimentale Hymnen: Das ist Musical! Was völlig fehlt, ist Humor, ist ironische Distanz, wie sie für amerikanische Produktionen so typisch sind, aber warum soll es diesmal nicht bei gut gemachtem Herzschmerz bleiben?

Muss man nicht mögen - ist aber leicht

Szene aus "Der Medicus" am Deutschen Theater | Bildquelle: Spotlight Musicals

Das Publikum erhob sich am Ende jedenfalls begeistert von den Sitzen, und gut gespielt und gesungen wurde in der Tat: Regisseur Holger Hauer lässt den "Medicus" trotz der Überlänge flott abschnurren, immer nah am Buch, wenn eine halbe Stunde weniger das Geschehen auch noch unterhaltsamer gemacht hätte. Patrick Stahnke in der Titelrolle war mehr als überzeugend: Ein stimmgewaltiger, vor allem aber ehrlicher Darsteller ohne Allüren. Auch alle anderen Solisten waren authentisch und mit viel Herz bei der Sache, etwa Reinhard Brussmann als islamischer Arzt Ibn Sina und Christian Schöne als Schah Karim, der für die Regierung seine Persönlichkeit opfert. Alles in allem gilt für diesen "Medicus": Muss man nicht mögen - aber es fällt sehr leicht!

Mehr Infos und Termine auf der Homepage des Deutschen Theaters in München.