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Kritik - "Die Zauberflöte" in Salzburg Märchen-Opa als Strippenzieher

"Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen." Karl Valentins Bonmot hat selten so viel Gültigkeit wie bei Mozarts "Zauberflöte". Die Sorge, mit und an dem beispiellos populären und zugleich ewig rätselhaften Stück zu scheitern, war bei Regisseurin Lydia Steier im Vorfeld der Salzburger Premiere, wie sie im Interview sagt, durchaus vorhanden.

Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Ruth Walz

Und auch als Kritikerin geht man den Weg zum Festspielhaus mit mulmigem Gefühl: Hoffentlich hat Valentin unrecht und es ist eben doch noch nicht alles gesagt über Mozarts Singspiel-Welttheater-Stück. Hoffentlich kann einen diese Produktion überraschen.

Papageno als Küchenpersonal

Sie kann, und nicht nur das: Diese Salzburger "Zauberflöte" birst vor Energie, erheitert, erfreut, beseelt. Das liegt an Dirigent Constantinos Carydis und den Wiener Philharmonikern. Und – ladies first – am Regisseurinnen-Team um die Amerikanerin Lydia Steier. Ins Wien kurz vor dem ersten Weltkrieg verlegt Steier die Handlung, auf der Bühne das Anwesen einer großbürgerlichen Familie mit drei Knaben im Mittelpunkt und Papageno als Küchenpersonal.

Hinzugefügt hat Regisseurin Steier den Großvater, der als Märchenerzähler mit Ohrensessel seine drei Enkel vor dem Zubettgehen in die Welt der "Zauberflöte" entführt. Kaus-Maria Brandauer spielt ihn (für den erkrankten Bruno Ganz) wunderbar lakonisch, ironisch und auch zärtlich. Das wirklich Geniale an dieser Partie allerdings ist, dass es sie gibt: Denn Brandauer ersetzt, verkürzt, komprimiert und kommentiert viele der Dialoge, die die Zauberflöten-Partitur oft länglich werden lassen und – schlecht gesprochen – eine fade Angelegenheit sein können. Der Märchen-Opa als Strippenzieher, der die Figuren auch mal knackig anschnauzt. Quasi ein Dramaturg im Kostüm. Prima!

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Im doppelten Sinn Fabel-haft

Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Ruth Walz Brandauer und die drei - sängerisch und schauspielerisch fantastischen - Knaben sind es, durch die wir diese Zauberflöten-Geschichte und ihr Personal miterleben: Adam Plachetka als Papageno, der mit einer Standuhr (und Musik drin) sowie einem überdimensionalen Suppenhuhn auf seine Reise geschickt wird, und sich slapstickhaft punktgenau, sehr charmant und stimmlich erstklassig durch die Szenerie wurschtelt. Oder Mauro Peter als Tamino: der eher zögerliche Typ, der sich in ein Handy-Foto verliebt, dem die drei Jungs bisweilen aber einen Stups verpassen müssen, damit er seine Prüfungen auch wirklich absolviert. Die Gegenwelt zu dieser bürgerlichen Idylle ist Schikaneders schrillem Vorstadt-Theaterdonner entlehnt: Sarastro ist Zirkusdirektor und Chef eines vogelwilden Varietés mit Harlekin, Clown, Bären und Artisten. Auch die sternflammende Königin scheint diesem Personal entsprungen. Der Tempel als Party-Meile, in dem das Vergnügen herrscht, bis - ja, bis zur „Feuer- und Wasserprobe“ die Realität Einzug hält. Was Tamino und Pamina da zu sehen bekommen - und was den drei Knaben als Märchen dann doch zu brutal wird -, ist der Beginn des Krieges. Lachen und Weinen, Freude und Schmerz, Abenteuer und Horror liegen für Regisseurin Lydia Steier nah beieinander, in diesem im doppelten Sinn fabel-haften Stück.

Risiko versus Routine

Perfekt umspielt, ergänzt und begleitet wird diese quirlige Szenerie von den brillanten Wiener Philharmonikern unter Constantinos Carydis. Der ist bekannt für seine flotten Tempi, für seine Lust am Vorwärtsdrang und seine Energie. Und so kommt aus dem Graben eine frische, extrem kompromiss- und schnörkellose, aber immer organische, kantable Zauberflöte, die einen im Zuschauerraum - und bisweilen auch die Sänger auf der Bühne - hinwegfegt. Carydis dirigiert pro Lebendigkeit und Risiko versus Routine und Sicherheit; die wenigen kurzen Wackler, die da entstehen – geschenkt.

Souveräne Solistenriege

Auch das Solistenensemble fügt sich in diese Lesart ideal ein: Es wird wunderbar uneitel gesungen und hervorragend agiert, der Ensemble-Gedanke ist die Stütze der Produktion. Fast hat man das Gefühl, da sind Kammermusiker engagiert, so wunderbar mischt sich zum Beispiel die agile, helle, leichte Stimme von Christiane Karg als Pamina mit den drei Wiener Sängerknaben. Karg und Albina Shagimuratova als nervenstarke, lupenrein intonierende und dabei auch noch musikalisch gestaltende Königin der Nacht stechen heraus aus der insgesamt souveränen Solistenriege. Einzig Bariton Matthias Goerne als Sarastro bleibt vor allem in der Tiefe an Volumen, Sattheit und Schwärze einiges schuldig.

Fazit: Restlos erklären und aufschlüsseln können auch Lydia Steier und Constantinos Carydis die Zauberflöte nicht. Aber die Gegensätze der Partitur (oft heiter, manchmal schmerzlich) pfiffig aufzeigen und gegenüberstellen, das können sie vorzüglich. Zum Glück ist also doch noch nicht alles gesagt.

Sendung: "Piazza" am 28. Juli 2018 ab 08:05 Uhr in BR-KLASSIK