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Zum Tod des Komponisten Dieter Schnebel Menschenfreund und Grenzüberschreiter

Dieter Schnebel - evangelischer Pfarrer, Pädagoge, Musikwissenschaftler, poetischer Philosoph und Visionär, vor allem aber: unkonventioneller Komponist und Grenzüberschreiter. Eine der wichtigsten deutschen Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts ist am Sonntag im Alter von 88 Jahren gestorben. Das teilte sein Sohn Andreas Schnebel der Deutschen Presse-Agentur mit.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

1930 im Schwarzwaldstädtchen Lahr geboren, seiner Lebtage entschiedener "Allemanne" und kommunikativer Menschenfreund, fiel ihm die Entscheidung zwischen Theologie und Musik anfangs besonders schwer.

Im Bann der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik

Porträt um 1970 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Er studierte inspiriert von den Exponenten der bekennenden Kirche, hörte Philosophie bei Heidegger, Bloch, Adorno und promovierte über Schönberg ohne die musikalische Praxis aus den Augen zu verlieren. Seit 1949 war er im Bann der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik und sogleich aktiv: "Und da waren alle diese jungen Kerle, die waren da: Boulez, Stockhausen, Nono, Cage kam später. Und wir waren alle so gleichaltrig. So 25 und wir wollten einen Neuanfang und wollten alles Mögliche hinter uns lassen und so quasi noch mal bei Null anfangen."

Inspiriert von den Methoden des Serialismus wurde Schnebel während seiner experimentellen Phase zum wichtigsten Vorreiter bei der Erweiterung von Artikulationsweisen der menschlichen Stimme. In Vokalwerken unterschiedlichster Besetzung wie den Maulwerken, in dt 31,6 auf Textstellen aus dem 5. Buch Mose, in der Glossolalie, kultivierte er systematisch alle Ausdrucksspektren zwischen Atemhauch und gellendem Schrei, Röcheln und Wohlgesang.

Die erste Ausdrucksform des Menschen ist Musik.
Dieter Schnebel

Als scheuklappenloser Religionslehrer an Schulen etlicher Städte, von 1970 bis 76 auch am Oskar-von-Miller-Gymnasium in München, begeisterte er Generationen junger Leute nachhaltig für neue Formen des musikalischen und gestischen Ausdrucks.

Auch die neuesten stilistischen Errungenschaften werden aufgehoben

Für Schnebels Konzert "HD" postiert sich der Berliner Harley-Davidson-Biker-Club am 12. Juli 2009 im brandenburgischen Zepernick. | Bildquelle: picture-alliance/dpa 1976 wurde Schnebel auf eine eigens für ihn geschaffene Stelle an die Berliner Hochschule der Künste berufen als Professor für experimentelle Musik. Sein Oeuvre wuchs beständig: vom Ein-Ton-Stück über die spielerische Invention bis zur Kathedrale aus Raum-Klang im Zeichen des Erhabenen. Semiexperimentelles für Harley-Davidson-Motorräder oder Flipperautomaten. Revisionen. Exemplarische Kompositionen entstanden, in deren Architektur alle nur denkbaren Aspekte der jeweiligen Gattungsgeschichte und der neuesten stilistischen Errungenschaften aufgehoben sind: die monumentale Sinfonie X, Eksatsis, die MISSA, das Opernfragment Majakowskyis Tod - Totentanz, das dritte Streichquartett.

"Dem Morgen zu"

Bei einem seiner Bühnenwerke hatte Dieter Schnebel ein Gespann mit zwei leibhaftigen Ochsen auf die Bühne gestellt: Ja, wirklich - Jowaegerli - allemannische Worte und Bilder von und nach Johann Peter Hebel. Ein düsteres Einzeitgedicht, in dem der alte Ätti dem Bueb die fatalen Aspekte der irdischen Zeitläufe erklärt. Dazu Schnebel: "Und dann sagt er noch mal einen Rückblick auf seine Jugend, ja, do han i au scho glebt. Und Stiere gewettet, Holz go Basel gführt, und gvetterlet. Das heißt spielen, gvetterlet bis an mi selig End, und möchte jetzt nemmer hi. Und das ist… meint mr jetzt is Schluss. Und sagt’r, Hüsch glaub i März, da müssen die Ochsen losfahren. Und das war für mich wichtig. Also, das Stück dauert so fünfzig Minuten. Fünfzig Minuten stehen die Viecher unbewegt da, und im letzten Moment fahren sie los. Und nach Osten, dem Morgen zu."

Am Sonntag, 20. Mai 2018 ist Dieter Schnebel im Alter von 88 Jahren an einem Herzleiden in Berlin gestorben.

Sendung: "Allegro" am 22. Mai 2018 ab 06:05 Uhr in BR-KLASSIK.

Programmänderung

Zum Tod von Dieter Schnebel ändert BR-KLASSIK sein Programm und widmet ihm:
"Horizonte - die Sendereihe für Neue Musik".
Dienstag, 22.05.2018 ab 22.05 Uhr