Man kann Gaetano Donizettis "Don Pasquale" - jene Oper über einen reichen alten Geldsack, der von seiner jungen Frau nach allen Regeln der Kunst vorgeführt wird - eins zu eins als Komische Oper inszenieren. Oder aber man sieht in der Handlung ein Gleichnis auf unsere überfütterte Wohlstandsgesellschaft. Genau dies tut Jossi Wieler an der Oper Stuttgart. Am 25. März hatte seine Neuinszenierung Premiere.
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Wohlstand macht vielleicht nicht immer, aber sehr häufig mürrisch und einsam, was sich ja gerade überall in Europa zeigt. Je reicher ein Land, desto ängstlicher und ruhebedürftiger wird es, desto nervöser und abweisender reagiert es auf die Zumutungen der Welt, die als solche nun mal laut, wild und gefährlich ist. Insofern passt Don Pasquale, der schrullige alte Zausel in Gaetano Donizettis gleichnamiger Oper, perfekt in unsere Zeit.
Der Mann ist um die siebzig, hat ein ansehnliches Vermögen erarbeitet, hält penibel Ordnung und alle anderen auf Abstand - nicht nur lärmige Kinder, sondern auch seine drei Dienstboten und den arbeitsscheuen und renitenten Neffen. Um den zu enterben, will Don Pasquale auf die alten Tage noch mal heiraten, also seinen Wohlstand nicht nur materiell, sondern auch sexuell genießen. Komisch ist das eigentlich nicht, das ahnte schon das Publikum bei der Uraufführung 1843, und an der Staatsoper Stuttgart wurde aus der vermeintlichen Komödie erst recht eine ziemlich ernste Abrechnung mit den paradoxen Vergnügungsbedürfnissen der globalen Oberschicht, die hier eigentlich gemeint ist: Alles soll Spaß machen, aber keine Verwirrung stiften - Sex ja, Unruhe nein.
Regisseur Jossi Wieler und sein kluger Dramaturg Sergio Morabito zeigen einen Don Pasquale, der in seiner Konzernzentrale am riesigen, kreisrunden Schreibtisch hockt und schon vom leisen Spielen eines einzigen Kindes genervt ist. Er heiratet trotzdem die adrette junge Norina - und die kommt, wie sich zu seinem Leidwesen schnell herausstellt, aus der Unterschicht. Sie trägt Leggings im Leopardenlook, ein Smartphone mit Glitzersteinen, raucht und pudert sich nach Belieben. Vor allem aber will sie ihren Teil vom Kuchen, bestellt massenhaft Klimbim, beschäftigt rudelweise Personal, zieht um die Häuser und ohrfeigt ihren Ehemann, als er sie bremsen will.
Verglichen damit wirkt Ernesto, der Neffe von Don Pasquale, reichlich kindisch, unsicher und gehemmt. Am liebsten wäre er immer noch Indianer, jedenfalls malt er sich entsprechend an und setzt sich Häuptlingsfedern auf. Das alles befremdet zunächst mal, sind das doch durchweg keine schrillen "Commedia dell'arte"-Figuren, ist das kein Klamauk, sondern ein überraschend politisches Gleichnis. Der verblendete Don Pasquale überlässt seine anstrengende Norina am Ende doch lieber dem Neffen und zieht sich einen Joint rein. Er kommt also nicht etwa zur Besinnung, sondern betäubt sich, torkelt zurück in die Einsamkeit, wenngleich plötzlich ganz viele Kinder herumtollen und Leben in die Bude bringen. Genießen wird er es wohl kaum.
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Musikalische Leitung: Giuliano Carella
Regie und Dramaturgie: Jossi Wieler, Sergio Morabito
Infos zu weiteren Terminen sowie zum Vorverkauf finden Sie auf der Homepage der Oper Stuttgart.
Sendung: Allegro am 27. März 2018 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK