Seit letzter Woche (18. August 2017) ist das demokratische Regierungssystem in Venezuela endgültig ausgehebelt: Die verfassungsgebende Versammlung hat den Kongress für abgesetzt erklärt. Gustavo Dudamel warnte im Juli vor diesem Schritt, jetzt greift Präsident Maduro den Stardirigenten für seine kritischen Äußerungen in einer Fernsehansprache an - und lässt die anstehende US-Tour eines der El Sistema-Jugendorchester ausfallen.
Demonstrationen, Gewalt und Tote. In den letzten Monaten spitzte sich die Situation in Venezuela immer mehr zu. Bei Protesten gegen Präsident Nicólas Maduro gab es viele Todesopfer - unter ihnen auch ein Musiker eines der El Sistema-Jugendorchester. Im Juli sprachen sich rund sieben Millionen Venezolaner im In- und Ausland gegen die Pläne Maduros aus, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Die Gegner der Versammlung fürchteten, Maduros Macht wäre dadurch derart gestärkt, dass er wie ein Diktator herrschen könne. Auch Dirigent Gustavo Dudamel kommentierte die Situation in seinem Heimatland am 19. Juli 2017 in der spanischen Zeitung El País und der New York Times.
Die Entscheidung der Regierung sei "verfassungswidrig", schrieb Dudamel in einem offenen Brief. Denn eine verfassungsgebende Versammlung habe die Macht, die bestehende Verfassung umzuschreiben und staatliche Einrichtungen aufzulösen. "Diese Entscheidung verschlimmert den bestehenden Konflikt und die gesellschaftlichen Spannungen nur noch mehr", warnte der Dirigent.
Ich bin verpflichtet, meine Stimme gegen die verfassungswidrige Entscheidung der Regierung zu erheben.
Inzwischen ist Maduros verfassungsgebende Versammlung Realität, am 18. August verabschiedete sie einstimmig ein Dekret, das offiziell das Parlament des Landes entmachtet. Am gleichen Tag verurteilte Nicólas Maduro Gustavo Dudamel in einem TV-Auftritt für dessen Regierungskritik. "Willkommen in der Politik, Gustavo Dudamel", sagte Maduro in der Fernsehansprache, "aber handeln Sie bitte mit Ethik". Dudamel sei von den Feinden Venezuelas in die Irre geführt worden und habe die sozialistische Regierung betrogen, hieß es weiter. Auch die anstehende US-Tour, die Gustavo Dudamel mit einem El Sistema-Jugendorchester im September 2017 unternehmen sollte, wurde von der venezolanischen Regierung gecancelt. Auf Twitter zeigte sich Gustavo Dudamel bestürzt über diese Absage und versprach, weiterzumachen und für ein "besseres Venezuela" zu kämpfen.
We will continue to play and to fight for a better Venezuela and a better world
Die Reaktionen auf Dudamels politische Äußerungen in den sozialen Netzwerken spalten sich in zwei Lager. Die einen begrüßen es, dass der international berühmte Dirigent Stellung bezieht, andere kritisieren, dass er damit zu lange gewartet hätte. Seine Worte seien nicht klar genug gegen die derzeitige Regierung gerichtet. Außerdem wird bemängelt, dass sich Dudamel als Chefdirigent der Los Angeles Philharmonic schon seit längerem im Ausland befindet. Zudem werfen Anhänger der Regierung Dudamel vor, der venezolanischen Regierung in den Rücken zu fallen. Er habe schließlich lange genug von dieser profitiert und seine Karriere aufbauen können. Denn El Sistema wird seit langem stark von staatlicher Seite unterstützt.
Sendung: Leporello am 21. August um 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK