Andrew Lloyd Webbers Erfolgs-Musical von 1978 als recht kühles Konzept-Theater: Der amerikanische Regisseur Matthew Ferraro gönnt den Zuschauern keine Romantik, sondern setzt auf Populismus-Kritik mit "V-Effekt". Am 30. November feierte "Evita" am Würzburger Mainfrankentheater Premiere.
Also mit Donald Trump hätte sich Evita garantiert gut verstanden, und hätte es zu ihren Lebzeiten schon Twitter gegeben, wer weiß, wie viele Botschaften sie täglich in die Welt hinaus gezwitschert hätte. Ganz bestimmt hätte auch sie ihre Tage mit Fernseh-Konsum vertrödelt und nicht versäumt, in die eine oder andere Live-Sendung hinein anzurufen. Das einzige, was die historische Evita Peron (1919 - 1952) an der Politik interessierte, war der große Auftritt, der Glamour, die Garderobe und die Traumreisen. Und manche verwechseln das alles ja auch heutzutage noch mit Politik.
Populismus ist schwer angesagt, bekanntlich nicht nur in Argentinien, wo ab 10. Dezember die Peronisten, also die politischen Erben Evitas, wieder regieren werden. Insofern könnte das Musical gar nicht aktueller sein. Und tatsächlich kam es dem amerikanischen Regisseur Matthew Ferraro am Würzburger Mainfrankentheater auch gar nicht auf die früh verstorbene Evita an, sondern auf das Erfolgs-Prinzip, für das sie stand: Politik als Unterhaltung, als Show, als Zerstreuung für die verelendeten Massen. Hauptsache bunt und laut!
Mag sein, dass der eine oder andere Zuschauer in Würzburg diese "Evita" ziemlich befremdlich fand, wobei es in diesem Fall eigentlich heißen müsste "verfremdlich", denn Regisseur Ferraro hielt sich an Bertolt Brecht, der den "Verfremdungseffekt" ja bekanntlich erfunden hat. Es hieß also wieder mal: "Glotzt nicht so romantisch", sondern denkt über das nach, was hier vorgeführt wird. Es war also volle Absicht, dass hier keine Musical-Sentimentalität aufkam, dass keine Nummer so richtig anheimelnd rüberkam, dass die Geschichte bei weitem nicht so herzerwärmend war, wie es vielleicht mancher in der Vorweihnachtszeit erwartet hatte. Stattdessen blieben die Figuren auf der Bühne recht kühl, kalkuliert, fast wie in einer argentinischen Version der "Dreigroschenoper".
Ferraro hatte das Bühnenbild gemeinsam mit Carola Volles entworfen und ganz viel schwarze Leere gelassen. Egal, wie viele Chorsänger und Tänzer gerade im Einsatz waren, ob ein flirrender Kranz aus Neonröhren herabschwebte, ein Straßenkreuzer reingeschoben wurde oder eine dürre Showtreppe bereitstand - drum herum war immer reichlich Düsternis, nach dem Motto: Glaubt bloß nicht den Hokuspokus, der hier vorgeführt wird.
Das war bisweilen durchaus witzig, etwa, als Evita mit zwei pistolenartigen Geräten Geldscheine über ihre Fans schoss - Peng, hier kommt die Kohle! - oder als sie einen Foto-Automaten als Quickie-Bude benutzte. Und auch die Begegnung mit ihrem späteren Ehemann Juan Perón (Kosma Ranuer) war von satirischer Schärfe: Der General und Volkstribun ist in Würzburg ein untersetzter, völlig unscheinbarer Kerl in grauer Anzugs-Kluft, als ob er sich am liebsten unsichtbar machen würde, um in Ruhe seine Macht auszubauen. Fürs Schaufenster hat er ja Evita. Bei soviel Zeigefinger-Theater flossen natürlich keinen Tränen, und auch musikalisch war es ein eher ruppiges als wehmütiges Erlebnis.
Cedric von Borries, der den Che spielte, der in diesem Stück Erzähler und Beobachter ist, hatte mit manchem Song stimmlich erhebliche Probleme, was nicht verwundern kann, weil er in Würzburg als Schauspieler, nicht als Sänger engagiert ist. So verfiel dieser Che gelegentlich in Sprechgesang, statt einen idealistischen Freiheitshelden zu geben, der mit seiner Stimme auch mal in lyrische Gefilde abhebt. Insgesamt also überraschend viel Konzepttheater in dieser "Evita", was in der Studentenstadt Würzburg aber gut ankam. Großer, wenn auch kein frenetischer Beifall des Premierenpublikums.
Sendung: "Allegro" am 2. Dezember 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK