Nach seinem Konzert in Ankara, bei dem der türkische Präsident zu Gast war, begann der Shitstorm in den sozialen Medien. Say, bisher Mitstreiter der säkularen Gesellschaft, bekommt nun genau von dieser Seite Gegenwind: "Wenn selbst die Liberalen einknicken, dann kann man das Licht ausschalten."
Diese Uraufführung war wirklich etwas Besonderes: Am 18. Januar spielte Fazıl Say nicht nur erstmalig seine neue "Troja-Sonate" vor Publikum, auch der Besuch von Präsident Recep Tayyip Erdogan bei seinem Konzert war eine Premiere. Das türkische Staatsoberhaupt hatte zusammen mit seiner Ehefrau, seinem Außenminister und Staatsgästen in der ersten Reihe Platz genommen. Say persönlich hatte Erdogan zu dem Konzert eingeladen. Der Präsident hatte sich nicht lange bitten lassen – auch wenn Erdogan bisher weder durch Achtung vor dem Künstler noch durch Vorliebe für klassische Musik aufgefallen war.
Wenn Sie sich gegenüber der Macht beugen, wo bleibt dann Ihre künstlerische Würde? Was bleibt von Fazıl Say zurück..!
Kniefall oder Zeichen der Aussöhnung? Den moderneren Kräften galt Say bis dahin als Gallionsfigur. Mehrfach wurden Konzerte von ihm von offizieller Seite kurzfristig abgesagt. Nun fühlen sich viele säkulare Türken durch Says Verbeugung vor Erdogan verraten: Der Künstler habe seine Ideale aufgegeben und sich mit dem System Erdogan arrangiert.
Erdogan selbst ließ offen, ob sein Konzertbesuch in diese Richtung zu deuten ist. Er betonte aber bei einer öffentlichen Rede noch einmal, wie sehr er den Abend genossen habe: "Es hat mir sehr gefallen, als Präsident neben einem Künstler zu stehen, der unser Land auf internationaler Ebene erfolgreich vertritt. Aber missmutige Kreise haben ja gleich mit einer Lynchkampagne gegen Fazil Say begonnen, nachdem bekannt wurde, dass er mich eingeladen hat."
Fazil Say will sich auf Nachfrage nicht zur der Diskussion äußern. Seiner Beliebtheit als Musiker hat es offenbar nicht geschadet: 13 seiner 14 Konzerte, die er in den nächsten Wochen in der Türkei gibt, sind bereits ausverkauft.
Sendung: "Allegro" am 01.02.2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK