An der Hamburgischen Staatsoper ist Beethovens einzige Oper "Fidelio" gleich doppeltes Chefstück: Generalmusikdirektor Kent Nagano dirigiert, Intendant Georges Delnon inszeniert zum ersten Mal am eigenen Haus. Und das, obwohl er schon vorher gesagt hat, dass er Beethovens mehrfach überarbeitetes Schmerzenskind eigentlich für uninszenierbar hält. Doch das Beethovenjahr 2020 mit dem 250. Geburtstag des Komponisten wirft seine Schatten bereits voraus, da wollen auch die großen Opernhäuser mitmachen. Am 28. Januar war die Hamburger Premiere. Uwe Friedrich vemisste in der Inszenierung innere Logik.
Your browser doesn’t support HTML5 audio
Gar nicht einfach, seine Gefühle zu ordnen, wenn die Jugendliebe nicht mehr funktioniert, man sich aber auch nicht sicher ist, ob die neue Flamme die Gefühle erwidert. Gleichzeitig spekuliert der Vater über die Liebesperspektiven seiner Tochter und alle gehen von falschen Voraussetzungen aus. Dabei sitzen sie in einem spätsozialistischen Festraum mit Blümchentapete und Panoramafenstern, die den Blick freigeben auf einen rauschenden Wald, in dem sich Reh Bambi und Wolf Isegrimm gute Nacht sagen. Schon in den ersten Szenen von Beethovens "Fidelio" will der Regisseur und Hamburger Opernintendant eine Menge vom Stück. Deutsche Sagen und die Rezeptionsgeschichte, Sexismus-Debatte, Folter und staatliche Gewalt. So assoziiert er sich munter durch den Abend und hofft wohl, damit die zugegebenermaßen schwierigen Brüche zwischen biedermeierlichem Singspiel und Befreiungsoper, harmlosem musikalischem Geschäker und Menschheitspathos überbrücken zu können. Das Ergebnis ist aber bloß eine zusammenhanglose Abfolge von Assoziationen.
Nach den einzelnen Arien und Ensembles gibt es in der Regel keinen oder nur extrem mageren Applaus, immer wieder stockt die Handlung. Dann werden erneut Gefangene wie in riesigen Aktenschränken auf die Bühne gefahren und zitieren in ihren Posen Guantanamo. Hunde bellen in der Ferne, in den Dialogen wird Bedeutungsschwangeres zitiert, einmal tönt aus dem Radio die nationalsozialistische Wochenschau-Fanfare. Doch das alles bleibt Behauptung, weil daraus nichts auf der Bühne folgt. Wenn zum Vorspiel von Florestans Arie Jaquino noch fix Marzelline sexuell bedrängt und beinahe vergewaltigt, wirkt das bloß wie ein aufgesetztes "Me Too"-Witzchen. Regisseur Delnon hat nämlich über seine zusammenhanglose Assoziiererei vergessen, eine Antwort auf die entscheidenden Fragen auch nur zu suchen: Wer wird hier wovon befreit? Freiheit von was und Freiheit zu was? Für dieses denkfaule Arrangement wurde er vom Publikum heftig ausgebuht, während Kent Nagano und die Sänger im kompakten Applaus des Hamburger Publikums glücklicher davonkamen.
Sendung: "Leporello" am 29. Januar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Musikalische Leitung: Kent Nagano
Inszenierung: Georges Delnon
Florestan: Christopher Ventris
Leonore: Simone Schneider
Informationen zu Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage der Hamburger Staatsoper.