Seine Leidenschaft waren Operetten mit düsterem Schluss, jedenfalls im Alter: Franz Lehár lässt auch seinen "Zarewitsch" tragisch enden. Gegen den russischen Geheimdienst und die italienische Mafia ist die Liebe machtlos. Das berührte die Zuschauer beim Lehár-Festival in Bad Ischl, wo der "Zarewitsch" am 17. Juli Premiere hatte.
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Sie macht derzeit einen ziemlich traurigen Eindruck, die einstige Villa von Franz Lehár in Bad Ischl, nicht wegen des Dauerregens und der hochwasserführenden Traun, sondern weil sie dringend renovierungsbedürftig ist. Vier Millionen Euro soll das kosten, bis 2024, wenn Ischl Europäische Kulturhauptstadt sein wird, sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Doch vielleicht passt der jetzige ramponierte Zustand der Villa, in der Lehár viele seiner späten Operetten komponiert hat, viel besser zum Werk und Charakter des Meisters: Im Alter wurde Lehár nämlich immer pessimistischer und leistete sich ab Mitte fünfzig den Luxus, Operetten zu vertonen, die kein Happy End haben, darunter neben dem "Land des Lächelns" auch der "Zarewitsch", der beim Festival in Ischl Premiere hatte.
Insofern wurde der Anspruch eingelöst, den Festivalleiter Thomas Enzinger an die Operette hat: "Man hat immer Angst davor, dass man die Geschichten erzählt. Ich glaube grundsätzlich, dass die heutige Erzählweise, die Sprache eine andere ist vom Tempo her – eine Operette hat ja viele Dialoge – dass man das alles raffen muss. Es kommt viel mehr darauf an, als dass man rundherum eine große Show bietet. Ich glaube, ein Stück ist vielmehr gerechtfertigt, wenn es ein gutes Stück ist. Man hinterfragt ja auch einen Shakespeare nicht jedes Mal, sondern versucht, ihn heutig auf die Bühne zu bringen."
Über gut zweieinhalb Stunden fesselte der "Zarewitsch" die Zuschauer – viel länger hätte er allerdings auch nicht sein dürfen. Nach der Pause gab es den einen oder anderen Moment, bei dem "Leerlauf" drohte. Und das hat wohl weniger mit Lehár zu tun als mit Film und Fernsehen. Thomas Enzinger: "Eine 'Gräfin Mariza' hat bei der Uraufführung fünfeinhalb Stunden gedauert, das geht heute nicht mehr, das ist eine ganz andere Zeit. Und dem muss man einfach gerecht werden. Das Theatererlebnis muss der heutigen Erzählstruktur entsprechen, ohne dass man die Seele der Stücke verliert."
In Bad Ischl müssen sie mit vergleichsweise wenig Geld auskommen, trotzdem erwies sich der "Zarewitsch" musikalisch und szenisch als absolut sehenswert, woran Dirigent Markus Burkert und vor allem Anne-Fleur Werner in der Hauptrolle der Sonja ihren Anteil hatten. Auch Bernhard Berchtold in der Titelrolle meisterte seinen Part achtbar, wenn auch schauspielerisch etwas kühl.
Auch die "Csárdásfürstin" in Ischl in der Regie des Festivalchefs war umjubelt, hier spielte der junge Kärtner Bariton Matthias Störmer als "Boni" alle Mitwirkenden förmlich an die Wand mit seiner nimmermüden Energie. Er sang im Liegen, Sitzen und Stehen, beim Walzer, beim Champagner und auf der Flucht. Da hatten es selbst Ursula Pfitzner in der Titelrolle und Tenor David Sitka nicht leicht mitzuhalten, zumal sie stückgemäß eher sentimentale Auftritte hatten. Thomas Enzinger hatte die Handlung in die Julikrise 1914 verortet, also kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Deshalb gönnte er dem Publikum auch in diesem Fall kein "Happy End". Stattdessen marschierten am Ende die Soldaten in die düstere Endzeit der Doppelmonarchie. Gleichwohl eine stimmige, ungemein temperamentvolle und rasante Aufführung, die selbst das eher gesetzte und ältere Nachmittagspublikum dermaßen elektrisierte, dass das Orchester beim rhythmischen Mitklatschen vier Reprisen einlegen musste. Operettenglück ohne jede Betulichkeit!
Informationen zu Terminen und Vorverkauf enthalten Sie auf der Homepage des Festivals.
Sendung: "Leporello" am 19. Juli 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK