Franz Schrekers Psychothriller "Die Gezeichneten" von 1918 dreht sich um ein künstliches Paradies, in dem alles möglich ist - und sich Trieb-Träume verwirklichen, auch kriminelle. Calixto Bieito zeigt in seiner Inszenierung des Stücks für die Komische Oper Berlin ein brutales Horror-Spielzeugland, ließ aber eine stimmige Personenregie vermissen. Premiere war am 21. Januar.
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Von wegen "Insel der Seligen": Das lateinische Wort Elysium weckt spätestens seit dem vergangenen Sommer ausgesprochen düstere Erinnerungen, wurde doch damals ein gleichnamiger Kinderporno-Ring mit angeblich knapp 90.000 Mitgliedern abgeschaltet. Dieses "Elysium" war eindeutig kriminell, ein Online-Tummelplatz für niederste Triebe, und genau das machte der katalanische Regisseur Calixto Bieito zum Thema seiner zwiespältig aufgenommenen Inszenierung der Oper "Die Gezeichneten" von Franz Schreker.
Riesen-Teddybären und Miniatur-Eisenbahn
Wie der Titel schon sagt, geht es um Männer mit einem Stigma - in diesem Fall um Adlige in Genua, die gegen Gesetz und Moral hemmungslos ihre sexuellen Bedürfnisse ausleben, eben im "Elysium", einem geheimen Paradiesgarten, in dem sich Kinderspielzeug stapelt, eine Miniatur-Eisenbahn ihre Kreise zieht und Riesen-Teddybären von der Decke hängen, als ob sie am Galgen hingerichtet wurden.
Peter-Pan-Syndrom
Hier, in diesem Privat-Märchenpark des Edelmanns Alviano Salvago werden systematisch Kinder und Jugendliche missbraucht - der Erbauer selbst freilich ist an den Entführungen nicht beteiligt, sondern, wie es im Programmheft heißt, ein Mann, der am "Peter-Pan-Syndrom" leidet, also nicht erwachsen werden will. Wer denkt da nicht sofort an Michael Jackson und seine infantile Traumvilla? Weit her geholt ist das Ganze also nicht, und in den "Gezeichneten" interessierte sich Komponist Franz Schreker tatsächlich für die Frage, ob Menschen einem "Elysium" überhaupt gewachsen sind - einem idealen, üppig dekorierten Ort jenseits aller Regeln.
Teuflische Absprachen
Kinder-Statisten beklemmend authentisch
Was in diesem Fall leider völlig nebensächlich blieb: Aviano Salvago, der Schöpfer des "Elysium", ist bei Schreker ein krumm gewachsener Gnom, der sich erstmals verliebt und daran irre wird, weil die Malerin Carlotta ihn letztlich nur als Krüppel interessant findet. Die Personenregie war eindeutig unterentwickelt, da wurde viel herumgestanden - die Kinder-Statisten allerdings waren beklemmend authentisch.
Klang-Lawinen begruben die Zuschauer
Unter den Solisten glänzte vor allem Bariton Michael Nagy als maskuliner Draufgänger Tamare, der keine Skrupel kennt, während Tenor Peter Hoare als Alviano etwas farblos blieb. Auch die litauische Sopranistin Ausrine Stundyte als Carlotta ließ stimmlich Wünsche offen. Dirigent Stefan Soltesz dagegen brillierte mit dem Orchester und zauberte das schwer parfümierte, von Harfen dominierte, fast durchgehend überquellende Klangbild, das die "Gezeichneten" so irritierend, ja verstörend macht, als ob sich aus der Partitur immer wieder Lawinen lösen, die die Zuhörer unter sich begraben. Das ist anstrengend. Auch deshalb war die Reaktion mehrfach geteilt: Einige Protestrufe, viel Ratlosigkeit, aber auch nachdenkliche Zustimmung.
Sendung: "Allegro" am 23. Januar 2018 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Franz Schreker:
"Die Gezeichneten"
Oper in drei Akten
Inszenierung: Calixto Bieito
Musikalische Leitung: Stefan Soltesz
Herzog Antoniotto Adorno: Joachim Goltz
Graf Andrae Vitelozzo Tamare: Michael Nagy
Lodovico Nardi: Jens Larsen
Carlotta Nardi, seine Tochter: Ausrine Stundyte
Weitere Informationen zu Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage der Komischen Oper Berlin.