Mit Gabriela Montero ist zum ersten Mal eine Frau mit dem Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte ausgezeichnet worden. Die venezolanische Pianistin wurde geehrt für ihr gesellschaftliches und politisches Engagement. Montero setzt sich für die Menschen in ihrem Heimatland ein.
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BR-KLASSIK: Gabriela Montero - Sie sind mit dem Internationalen Beethovenpreis geehrt worden. Das macht sie in gewisser Weise zum Vorbild für das Eintreten für Menschenrechte. Ist das ein Rolle, in der sie sich als Pianistin gerne sehen?
Gabriela Montero: Es ist nicht einfach, eine Menschenrechtsaktivistin zu sein. Diese Rolle habe ich mir jedenfalls nicht selbst ausgesucht. Die Situation in meinem Heimatland hat mich gezwungen, eine zu werden. Ich fühle mich als Künstlerin verpflichtet, meine Stimme zu erheben. Ich kann mich einfach nicht von einer Gesellschaft abwenden, die mir am Herzen liegt. Es ist eine schwierige Aufgabe. Aber wir sind ja nicht nur Künstler, sondern zunächst einmal Menschen, die gegenüber Notleidenden Mitgefühl zeigen sollten. Ich kann das jedenfalls nicht trennen. Weil ich mich nicht nur als Künstlerin sehe, sondern vor allem auch als Mensch, versuche ich zu helfen, so gut ich kann.
BR-KLASSIK: In Ihrem Heimatland Venezuela herrscht eine Diktatur, der viele Menschen fast schon willkürlich zum Opfer fallen. Sie haben darüber auch ein Stück komponiert. Müssen Sie Angst haben?
Gabriela Montero: Natürlich. Wenn man Position bezieht, kann das nicht nur eine physische Gefahr bedeuten. Man wird dann auch leicht zum Angriffsziel für alle, die nicht wollen, dass eine solche Botschaft verbreitet wird. Das bezieht sich auf viele Bereiche, nicht nur auf die Regierung. Letztes Jahr sind bei Auseinandersetzungen in meinem Land über 30.000 Menschen getötet worden. Die Welt ist gar nicht über das ganze Ausmaß der Krise in Venezuela informiert. Deswegen nutze ich meine Musik und meine Möglichkeiten als Künstlerin auch gegenüber der Presse, um etwas über die Situation in Venezuela und die Menschen dort zu erzählen.
BR-KLASSIK: Was sind die politischen und was die menschlichen Tugenden, an denen es im Moment in Venezuela am meisten fehlt?
Gabriela Montero: Es gibt so viel Korruption. Das haben wir zwar schon immer geahnt, aber jetzt wird es aufgedeckt und öffentlich gemacht. Es ist schwer, der Welt den Grad der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit in Venezuela klarzumachen. Ich kann Ihnen ein Beispiel geben. Vor drei Jahren hat mich der wunderbare junge Tenor Luis Magallanes zum ersten Mal über Facebook kontaktiert. Er erzählte mir, dass er nicht genug zu essen habe und dass er davon träume, Opernsänger zu werden. Wir haben es geschafft, in aus Venezuela herauszubringen und für ihn Geld zu sammeln. Er hat vier Monate bei uns gewohnt. Jetzt hat er ein Stipendium und studiert in Dublin. Er widmet sein Leben nun ganz seinem Talent. Er hat eine fantastische Stimme. Die schwierige Situation betrifft alle in Menschen in Venezuela. Es ist unsere Verantwortung, da zu helfen. Luis ist nur ein Beispiel von vielen. Wahrscheinlich wird es viele Generationen brauchen, um mein Land wieder aufzubauen. Wir müssen uns zuallererst von der Diktatur befreien, die an dieser Misere schuld ist.
Ich bitte die Leute, hinzusehen und etwas zu tun.
BR-KLASSIK: Das heißt, man kann vor Ort gar nichts machen? Man kann keine Unterstützung geben direkt im Land?
Gabriela Montero: So geht es eben am besten. Ich versuche, über verschiedene Gruppen Hilfe für Musiker von El Sistema zu organisieren und auch für Menschen, die nicht genug zu essen haben oder keine Medikamente. Ich schicke Essen und Medikamente aber auch Geld, so viel ich kann. Und das machen sehr viele Venezolaner. Es gibt ein riesiges internationales Netzwerk von Venezolanern, die humanitäre Hilfe leisten. Das Beste ist, solche Kampagnen zu starten oder sie mit Geld zu unterstützen. Ich bitte die Leute, hinzusehen und etwas zu tun.
BR-KLASSIK: Wie könnte man das stoppen?
Gabriela Montero: Das ist eine schwierige Frage mit vielen möglichen Antworten. Aber ich kann Ihnen versichern, dass sich die Situation in Venezuela nur ändern wird, wenn wir diese Mafia vertrieben haben, die jetzt regiert. Man muss endlich verstehen, dass diese Regierung weder links noch rechts ist. Es ist eine Diktatur. Ein Drogenkartell hat die Macht übernommen. Und solange das Land nicht von dieser Krankheit geheilt ist, wird es nicht vorankommen und keine Demokratie werden.
In der Welt klassischen Musik ist es viel zu still.
BR-KLASSIK: Kommen wir nochmal zurück zu Beethoven: Was ist für Sie das Politische an Beethoven? Er war ja hin- und hergerissen, was seine politische Position angeht. Eine Zeitlang hat er Napoleon bewundert – und dann hat er ihn fast schon verteufelt.
Gabriela Montero: Beethoven hat sehr stark seinem inneren moralischen Kompass vertraut. Freiheit und Gerechtigkeit gingen ihm über alles. Seine Musik berührt uns auch deshalb so sehr, weil er mit ihr immer über das Banale, das Irdisch-Menschliche hinauswachsen wollte. Für mich hat dieser Beethovenpreis eine große Symbolkraft. Auch ich möchte andere klassische Musiker animieren, aufzustehen und ihre Stimme zu erheben. Pop-, Rock-, Jazz- oder Countrymusiker oder auch visuelle Künstler, sie haben alle eine Stimme in der Gesellschaft und scheuen sich nicht, sie einzusetzen. In der Welt klassischen Musik dagegen ist es viel zu still.
BR-KLASSIK: Allerdings – bevor man eine Botschaft rausschickt, muss man natürlich erst einmal eine Position haben. Und ich denke, die ist manchmal schwer zu finden.
Gabriela Montero: Das stimmt. Es bedeutet ein Risiko, und man bezahlt einen Preis dafür. Aber man muss für sich entscheiden, ob man wirklich stumm bleiben will in einer Zeit, in der so viele Stimmen wie möglich gebraucht werden.
Sendung: "Leporello" am 10. Dezember 2018 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK