So leise wie er spielt kaum einer sonst. Gitarrist Bill Frisell hat sich damit in bisher 40 Jahren Karriere ein unverwechselbares Profil erarbeitet. Am 18. März 1951 wurde dieser Power-Flüsterer des weltoffenen Jazz in den USA geboren.
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Kann man schüchterner sein? Zurückhaltender, diskreter? Ein stiller Amerikaner mit auffälliger, meist dickrandiger Brille und sich lichtendem grauen Haar über einer hohen Stirn – ein in sich gekehrter Zeitgenosse mit sehr bescheidenem Auftreten. Einer, der nicht auffallen will. Und es gerade deshalb tut. Persönlich und musikalisch. Und das seit Jahrzehnten. Der Gitarrist Bill Frisell ist ein stiller Star, der in den 1980er-Jahren auffiel durch ganz leise Töne, die in ihrem scheinbaren Zögern, ihrem Innehalten und geduldigen Sich-Sammeln eine ganz eigene Energie entfalteten: Breitwand-Sound, geflüstert. Und so völlig anders als alles Gewohnte.
William Richard Frisell, geboren am 18. März 1951 in Baltimore im amerikanischen Bundesstaat Maryland, gehört zu einer großen Generation von Jazzgitarristen – deren bekannteste Vertreter das Wort Jazz allerdings möglichst weit fassen, als Begriff für eine Musik, die sich weit vom Spezialistentum löst. Pat Metheny, geboren 1954, und John Scofield, geboren 1951, sind wie Bill Frisell beinahe Popstars des Jazz: große Namen seit den 1980er-Jahren. Musiker, die auch unter Pop- und Rockfans bekannt sind. Unterschiedlicher könnten sie nicht sein – aber sie alle haben einen ganz charakteristischen eigenen Klang. Bill Frisell ist der leiseste von ihnen: einer, der auch auf der Bühne meist im Sitzen spielt. Er mag Töne, zu denen sich das Publikum hinbewegen muss. Die das Publikum nicht überfallen. Fast könnte man sagen: Er sei ein Kammermusiker des Jazz. Doch seine Welt ist viel weiter. Auch aus der Country-Music und deren virtuoser Spielart Bluegrass hat er viel in sein Spiel integriert. Er hat Filmmusiken gemacht, mit Popmusikern wie Elvis Costello und Rock-Größen wie Ginger Baker Musik gemacht. Und kaum einer hat schönere Hommagen an John Lennon aufgenommen. Denn eines ist Frisell in diversen musikalischen Domänen: ein Meister des feinen Unterschieds.
"Glauben Sie es oder nicht, ich benutze den Verstärker, um weicher spielen zu können", sagte Jim Hall einst in einem Interview mit BR-Klassik. Er mischte in seinen Aufnahmen meist den zart und weich eingestellten Ton des Verstärkers mit dem akustischen Ton seiner Vollresonanz-Jazzgitarre: ein feiner, sinnlicher Klang, der in introvertierten Dialogen mit den Instrumenten von Kollegen wie Saxophonist Paul Desmond und Pianist Bill Evans zu einer zeitlosen Schönheit fand. Bill Frisell setzte Halls Intimität auf eigene Weise fort. Er nutzte schon früh diverse Effektgeräte für seine E-Gitarre, nahm im Studio mehrere Spuren (akustischer und elektrischer Gitarren) übereinander auf – und schuf für seinen weichen und feinen Klang, der sich oft auch in sehr langsamem Tempo entfaltete, eine ungewöhnliche, fast orchestrale Breite.
Sein erstes Album, "In-Line" von 1983, aufgenommen in Oslo, war beinahe ein Solo-Werk: In einigen Stücken begleitete Frisell der Bassist Arild Andersen, ansonsten kommunizierten die sparsam-dynamischen Töne des Gitarristen mit sich selbst. Schon damals schaffte es Frisell, so zu klingen wie kein anderer bekannter Gitarrist der Jazz- und der Rock-Welt. Als er 1984 mit der Band des Schlagzeugers Paul Motian – auch eines Großmeisters leiser Töne – auftrat, waren sich Fachjournalisten einig, dass hier eine aufregende neue Stimme aus den USA heranwuchs. In seinen Soli des damaligen Konzerts vereinte Frisell die Ruhe vor dem Sturm virtuos mit feinen Gewitterausbrüchen. Er zögerte die Spannung hinaus, holte Töne beinahe aus dem Nichts und steigerte sie dann ins fast Riesenhafte, das dabei aber trotzdem feine Kontur behielt. Diese Töne hatten etwas Magisches, wie ein Schatten, der sich leise und allmählich über der Bühne erhebt, dann wieder diskret verschwindet – aber dabei starke Spuren in der Erinnerung hinterlässt.
Das kann kaum ein anderer. Frisells Geheimnis könnte seine besondere innere Ruhe sein. Er sagt (vor kurzem in einem Interview mit BR-Klassik-Mitarbeiter Ulrich Habersetzer): "Ich bin so glücklich, dass ich immer noch verliebt in mein Instrument bin. Das ist es, was mich wohl auch jetzt durch diese Zeit gerettet hat. Ich sagte mir, okay, ich habe jetzt den ganzen Tag Zeit. Ich nehme also meine Gitarre und spiele. Es gab kein Ziel, keine Deadline, nichts dergleichen, es war nur die Freude daran, das zu spielen, was immer mir in den Sinn kam." Frisell sagt über seine Beziehung zum Instrument und zur Musik auch: "Es kommt mir vor, als hätte ich noch gar nicht richtig begonnen. Ich spiele, und ich probiere Dinge aus – und es fühlt sich immer an, als sei ich noch ganz am Anfang." Er spiele Gitarre so wie er spreche, sagt er auch. Das merkt man auch sofort, wenn man ihm zuhört beim Sprechen und beim Spielen: Überall scheint viel Luft zum Denken zu sein. Keine Routine-Phrasen möchte er abliefern, sondern das spielen, was er in sich hört. Darauf angesprochen, ob er denn gern schneller spielen können würde, sagt er: Ja. Er habe das auch immer wieder geübt. Und kommt dann doch wieder auf das zurück, was ihm wichtiger ist: Er möge es, wenn seine Musik dieses "singing thing" habe, egal ob das schnell oder langsam ist. Bill Frisell: ein unverwechselbarer, immer neugieriger Sänger auf den Saiten. Herzlichen Glückwunsch zum Siebzigsten.
Sendung: "Allegro" am 18. März 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK