Am Freitag, den 23. April, trat das neue Infektionsschutzgesetz, die sogenannte Bundesnotbremse in Kraft. Seitdem gelten bundeseinheitliche Regelungen für die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie.
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Letztens radelte meine fünfjährige Tochter durch eine Spielstraße. Plötzlich fuhr nur wenige Meter vor ihr ein Auto aus einer Hofeinfahrt heraus. Ihre Reaktion: zack, Füße weg von den Pedalen, und schon schlingerte sie wackelig nach rechts in eine Hecke. Dieses Bild bekomme ich nicht aus dem Kopf, wenn ich das Wort "Bundesnotbremse" höre. Denn ja, mein Kind war in Not, aber gebremst hat es nicht. Im Gegensatz zur Corona-Pandemie blieben bei ihm zum Glück Leib und Leben unbeschadet. Im Gegensatz zu seinen geschätzt 8 km/h pflügt die Pandemie aber auch gerade als wuchtige Dampflok zehn Mal so schnell durchs Land.
Dafür hat so ein Zug mit Dampflokomotive immerhin eine Notbremse. Nur, wenn man die so zieht wie es im Moment die Bundesregierung im Infektionsschutzgesetz plant, dann passiert folgendes: Zwei, drei Waggons bleiben stehen, sagen wir: Bordrestaurant und Musikwagen, während der Rest ungehindert weiterbraust.
Raus aus den Metaphern, Zeit für Klartext. Worum geht es? Zum einen: um Gerechtigkeit. Was die Regierung da beschlossen hat, ist einfach nur unfair und komplett unverhältnismäßig! Das geht so nicht! Kulturveranstaltungen dürfen laut dem neuen Infektionsschutzgesetz in Zukunft bei einer Inzidenz von über hundert nicht stattfinden. Weder drinnen noch draußen. Derweil können wir aber durch Zoos spazieren, in Buchhandlungen gemütlich rumstöbern oder die neuesten Terrassenmöbel shoppen – solang wir dabei halt Maske tragen. Ganz zu schweigen von den Fließbändern, Klassenzimmern und Großraumbüros, wo weiterhin munteres Miteinander herrschen darf: ungebremst. Ach, außer die Inzidenz liegt bei … Moment … äääh, da: 165 – dann müssen Schülerinnen und Schüler nämlich daheim bleiben.
Aber es geht nicht nur um Gerechtigkeit, sondern auch: um Wirksamkeit. Und nein, ich fordere hiermit nicht: Öffnet die Bühnen! Nein, das Ziel lautet doch: Kontakte vermeiden, und zwar überall, nicht nur im Wirts- und Konzerthaus. Was ist eigentlich aus diesem "systemrelevant" geworden? Ein Wort, das uns meiner Ansicht nach erfolgreich durch die erste Welle gebracht hat. Inzwischen kann man leider eher umgekehrt die Bereiche an einer Hand aufzählen, die offensichtlich systemirrelevant erscheinen: Familien, Gastronomie, Kultur.
Die Lage ist ernst. Ja, das ist sie. Warum nehmen wir sie dann nicht ernst? So, wie diese sogenannte Bundesnotbremse quietscht und uns ins Schlingern bringt, landet nicht nur die Kultur auf dem Abstellgleis – sondern wir alle in der Hecke. Und ich bezweifle, dass wir uns dabei nur Kratzer zuziehen.
Sendung: "Allegro" am 23. April 2021 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK