BR-KLASSIK

Inhalt

Glosse: Gruselware Musik-Merchandise Lasst die Noten auf dem Papier!

Sie lieben Musik? Und wollen das auch allen zeigen? Dann stehen Sie vielleicht auf Socken, Tassen oder Regenschirme, die mit Noten bedruckt sind. Kathrin Hasselbeck gruselt es vor solchem Klassik-Merchandising – sowohl ästhetisch wie auch musikalisch.

Bildquelle: picture-alliance/dpa / Montage: BR

"Oh wie nett, ein Geschenk", denke ich und entknote das hübsche Bändchen. Das Papier raschelt, die Neugierde steigt, und dann: ein enttäuschtes "Ah." Tasse, Teller, Servietten – alles schwarz-weiß in Noten-Optik. Viele Linien, Sechzehntel mit Balken, ein paar verstreute Kreuze und Bs. Klar, weil ich ja Musik mag! Äh – Danke?

Socken, Stifte, Regenschirme mit Noten

Ich weiß schon: Genauso wenig wie man einem geschenkten Gaul ins Maul schaut, sollte man vermutlich beim Notengeschirr die Vorzeichen studieren. Allzu genaues Hinsehen empfiehlt sich sowieso nicht bei derlei Produkten. Hier fehlt der Notenschlüssel, da wurde doch tatsächlich die Partitur spiegelverkehrt abgedruckt – und nicht fehlen dürfen aus unerfindlichen Gründen in Wellenform geschwungene Notenlinien. Aber abgesehen davon: Glauben die Leute, nur weil ich gern singe oder geige, will ich auch sonst von schwarzen Linien, Punkten und Kreuzen umgeben sein? Krawattennadeln, Stifte, Schmuck, Schlüsselanhänger, Socken, Regenschirme – gibt’s alles! Warum? Damit es auch jeder sieht: Ich liebe Musik!?

Größe 44 bedeutet: mehr Mozart!

Neulich spülte mir das Netz sogar einen Rock aus Notenstoff in die Timeline. Fehlte nur noch das originelle Wortspiel: "Rock-Musik!" Hihihi – ist aber halt Klassik. AC/DC-Merchandising sieht dann doch anders aus. Und auch von der Zielgruppe her würde so ein Noten-Rock wohl eher selten auf ein Rock-Konzert gehen.

Wenn ich Noten sehe, dann ist das jedenfalls wie ein Play-Button im Kopf: Sofort klingt es los. Bei so einem Rock ist’s dann aber auch schnell wieder aus – womöglich mitten im ersten Thema! Wobei die Länge natürlich von der Leibesfülle des Models abhängt. Größe 44 bietet immerhin zwei Takte mehr Mozart als die 36. Endlich ein guter Grund für Sachertorte: Mehr Mozart geht schließlich immer.

Herumfliegende Achtel und gewellte Linien

Musikailsches Chaos im Kopf: Teller mit Noten. | Bildquelle: BR Apropos Sachertorte: Da fällt mir das Notengeschirr wieder ein. Welcher musikliebende Mensch käme auf die Idee, ein Stück dieser Schoko-Bombe auf Noten zu legen? Das schmiert doch! Und die Krümel punktieren noch die letzte Viertelnote, sodass die Takte überlaufen vor Zählzeiten.

Bleibt noch die Stil-Frage. Schwarz-weiß, Linien, Punkte: Ja, Noten können ästhetisch aussehen. Aber eben auf Papier, nicht auf Porzellan oder Stoff – und vor allem nicht sinnentleert durch herumfliegende Achtel, gewellte Linien und ohne Schlussakkord! Lassen wir also die Noten lieber da, wo sie hingehören: in den Partituren, auf den Notenständern und in den Musikbibliotheken. Und mein Geschenk? Wie wär’s: was es auch sei – eingepackt in ausrangiertem, echtem Notenpapier. Das ist stylish und schont auch noch die Umwelt.

Sendung: "Allegro" am 10. Juli 2020 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK