Die Nürnberger Franz Hofmann und Sophie Hagemann-Stiftung hat inzwischen national wie international für Aufsehen gesorgt. Dabei geht es um versprochene Entschädigungszahlungen für Nazi-Raubkunst, Stiftungsrecht und ein Hin und Her von Entscheidungen, gepaart mit ungeschickter Kommunikation. Ein neuer Vorstand will die jahrelange Hängepartie nun beenden.
Das Corpus Delicti: eine Guarneri-Geige aus dem 18. Jahrhundert. 1938 kaufte sie der jüdische Musikalienhändler Felix Hildesheimer. Von den Nazis wurde er wenig später aufgrund seiner jüdischen Abstammung gezwungen, sein Wohnhaus und sein Geschäft zu verkaufen – inklusive der Guarneri. Viel Geld bekam er dafür nicht. Seine Familie floh aus Deutschland, Felix Hildesheimer beging Selbstmord. “Unsere ganze Familie wurde zerstreut. Alles, was er besaß wurde ihm weggenommen“, sagt Hildesheimers Enkel David Sand in einem Interview mit dem Magazin Titel, Thesen, Temperamente (rbb). Sand lebt heute in Kalifornien.
1974 erwarb die Nürnberger Violin-Pädagogin Sophie Hagemann die Guarneri von einem Händler. Nach ihrem Tod ging die Geige in eine Stiftung über, die nach ihr und ihrem Mann Franz Hofmann benannt wurde. Laut Satzung von 2011 verfügte die Stiftung neben der Geige über ein Vermögen von mehr als 400.000 Euro.
Aufgrund der Washingtoner Prinzipien hat sich Deutschland 1998 bereit erklärt, für von den Nazis geraubte Kunst eine "gerechte und faire Lösung" zu finden. Da die Geige aus dem Besitz Hildesheimers stammte, wandte sich die Nürnberger Stiftung an die “Limbach-Kommission“, die bei Fragen rund um die Rückgabe von Nazi-Raubkunst eingeschaltet werden kann. Die beratende Kommission empfahl dem Stiftungsvorstand 2016, den Erben Hildesheimers 100.000 Euro Entschädigung zu zahlen. Erben und Stiftung sind sich einig, doch das Geld kommt … nicht.
Um das nochmal klarzustellen: Beide Seiten hatten sich vor fünf Jahren geeinigt und eine Lösung gefunden, mit der alle einverstanden waren. 100.000 Euro, und die Guarneri gehört rechtmäßig der Stiftung. Nur haben die Erben von Felix Hildesheimer bis heute keinen Cent erhalten. Da drängt sich die Frage auf: Warum? Dazu später mehr. Der Stiftungsvorstand jedenfalls verhält sich äußerst ungeschickt, sorgt für Unverständnis bei der beratenden Limbach-Kommission und verstrickt sich in widersprüchliche Aussagen gegenüber der Öffentlichkeit.
Am 20. Januar 2021 veröffentlicht die Stiftung eine Pressemitteilung, in der es heißt, dass es sich bei der Geige gar nicht um Raubkunst handele und man deshalb keine Wiedergutmachung leisten müsse. Das wirkt wie ein hilfloses, strategisches Manöver und entpuppt sich letztlich als Ausrede. Damit stößt sie sowohl die beratende Kommission als auch die Erben vor den Kopf:
Aus Sicht der Stiftung ist es inzwischen wenig wahrscheinlich, dass Felix Hildesheimer die Geige auf eine Weise verloren hat, die eine Verpflichtung zur Restitution rechtfertigen würde.
Das hier scheint mir ein besonders ungeheuerlicher Fall zu sein, weil die Stiftung der Vereinbarung zunächst zugestimmt hatte.
Zu dem Stiftungsvorstand gehören derzeit vier Männer, drei von ihnen kommen – wie es die Stiftungssatzung vorschreibt – von der Nürnberger Hochschule für Musik. Keiner der vier ist für ein Interview bereit. Den Fragen der Presse hat sich der Vorstand – wenn überhaupt – nur schriftlich gestellt, Nachfragen waren somit nicht möglich. Stattdessen das: Anfang März erklärt der gesamte Vorstand seinen Rücktritt zum 31. März. Ein Statement, das für sich selbst spricht.
Abseits dieser Anstrengungen, den Streit zu schlichten, bleibt die Frage nach dem Warum. Und die führt in die juristischen Feinheiten des Stiftungsrechts. Der Vorstand der Franz Hofmann und Sophie Hagemann-Stiftung hat als Argument für die ausbleibende Zahlung zuerst das Stiftungsrecht angeführt: Dies lasse eine Entschädigungszahlung ohne Rechtssicherheit nicht zu. Der Grund: In der Stiftungssatzung ist nicht festgehalten, dass das Vermögen für Entschädigungszahlungen ausgegeben werden darf.
Das wiederum könnte finanzielle Folgen für die Vorstandsmitglieder haben. Würde nämlich der Stiftungsvorstand das Vermögen der Stiftung aus Gründen schmälern, die nicht in der Satzung festgehalten sind, besteht die Gefahr, dass die Aufsichtsbehörden die Gründe nicht anerkennen. Dann könnte der Stiftungsvorstand mit seinem Privatvermögen für die Zahlung haften.
Der Fall der Guarneri-Geige von Felix Hildesheimer führt nun sogar dazu, dass das deutsche Stiftungsrecht nun reformiert werden soll. Dabei geht es auch um finanzielle Gestaltungsspielräume für die Vorstände von Stiftungen. Demnach könnte ein sogenanntes Grundstockvermögen verbraucht werden, wenn es in absehbarer Zeit wieder aufgefüllt werden kann. Noch ist die Reform im Gesetzgebungsverfahren, sie ist also noch nicht gültiges Recht.
Ob die Gründe der Stiftung, nicht zu zahlen, tragen? Arnd Arnold, Professor für Bürgerliches Recht an der Uni Trier, zweifelt daran. Auch nach der bisherigen Rechtslage hätte die Hagemann-Stiftung die Entschädigungszahlung leisten können, erklärt er: “Selbst wenn die Stiftungssatzung schweigt, wird man der Stifterin schwerlich unterstellen können, dass sie mit solchen Restitutionszahlungen nicht einverstanden gewesen wäre.“ Ein Schaden für das Ansehen der Stiftung sei bestimmt nicht im Sinne von Sophie Hagemann gewesen. “Daher wird man sicherlich stiftungsrechtlich eine derartige Zahlung für zulässig halten können“, sagte Arnold im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.
Mir stellt sich die Frage, wieso man nicht ganz zu Anfang die Geige zurückgegeben hat.
Nachdem sich der amerikanische Anwalt Michael D. Hausfeld nun eingeschaltet hat, könnte die Angelegenheit die Stiftung im schlimmsten Fall teuer zu stehen kommen. Denn nun soll die Guarneri-Geige neu bewertet werden. Und dabei werden mit großer Sicherheit mehr als 100.000 Euro angesetzt. Zu dem Image-Schaden könnte also ein finanzieller noch hinzukommen.
Sendung: "Allegro" am 29. März 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK