Am 7. Dezember 1742 hat einst Friedrich der Große sein stattliches Hofoperntheater eröffnen lassen. Wie damals, war auch jetzt die „Staatsoper Unter den Linden“ in Berlin bis kurz vor knapp Baustelle und ist gerade erst im Oktober dieses Jahres wiedereröffnet worden. Jetzt gibt es zum eigentlichen Stichtag des 275-jährigen Jubiläums ein ganzes Wochenende lang musikalische Feierlichkeiten und gestern Abend die erste richtige Neuproduktion der Saison: Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“. Für die Regie verantwortlich war Achim Freyer, die musikalische Leitung hatte Sebastian Weigle.
Was Engelbert Humperdinck da Ende des 19. Jahrhunderts seiner Schwester Adelheid Wette zuliebe komponiert hat, zunächst nur ein paar muntere Lieder zum Puppenspiel „Hänsel und Gretel“ nach den Gebrüdern Grimm, wurde bekanntlich eine der populärsten Opern überhaupt. Seit der Uraufführung in Weimar 1893 ununterbrochen landesweit auf den Bühnen, bei jung und alt beliebt.
Eine Märchenoper, ja. Humperdinck selbst, Wagner-Meisterschüler, nannte das Stück durchaus ernsthaft „Kinderstubenweihfestspiel“. Und in der Tat, eine Menge Wagner, auch Dvorak und Brahms klingen an, in der Hänsel-und-Gretel-Partitur, die so wunderbar hin und herschwankt zwischen heiterem Kinderlied und gespenstisch-düsterer und komplexer Hexenwelt.
Dirigent Sebastian Weigle lässt die Staatskapelle Berlin launig wandeln, zwischen dem spielerisch-leichten Volkslied und den musiktheaterhaften, hochromantisch-süffigen Orchesterwogen, sehr geschmeidig wechselt der Ton und damit das Genre, blitzschnell wird im Orchestergraben das Märchen zum Drama und huscht wieder zurück, als wäre nichts gewesen. Das musikalisch schwierigste an dieser Oper gelingt Weigle und der Berliner Staatskapelle hervorragend.
Was also musikalisch an diesem Premierenabend in der wieder eröffneten Berliner Staatsoper überzeugt, der Spagat eben, zwischen leichtfüßig und dramatisch, das wird in Regie, Bühne und Kostümen von Alt-Meister Achim Freyer nicht eingelöst. Freyer zeigt auch bei Humperdinck – passend zum Märchencharakter – seine abstrahierten und geradezu archetypischen Figuren, verspielt zum einen, aufs wesentliche reduziert zum anderen.
"Hänsel und Gretel" an der Staatsoper Unter den Linden - die Inszenierung in Bildern.
Und ja, es sind keine Kleider, auch keine Verkleidungen der Sänger, Person und Kostüm werden bei Freyer zur Figur mit Interpretationswert an sich. Allein, bei diesen Heerscharen an Kreuchendem und Fleuchendem, ästhetisch wunderschön anzusehen und zum Schmunzeln, bleibt es dann auch.
Durch die Riesenköpfe sind die Sänger ihrer Mimik beraubt, was durch allzeit winkende und schubsende Hände ersetzt, aber nicht mit Aussage gefüllt wird. Zumindest nicht mit mehrdeutiger, komplexer. Vieles ist kindlich, das darf sein, allzu oft rutscht es jedoch ins Kindische, Naive. Das ist an psychologischer Tiefenschärfe zu wenig und der Partitur nicht zugehört.
„Revolution“ steht am Ende dann in lustigen Buchstaben geschrieben, weil Hänsel die Hexe mitsamt Haus ins Inferno geschickt hat. Nur das Wort an sich, ohne fehlende Zuarbeit in Sachen Regie, macht noch keinen Staatsakt. So wie eine brillante Figuren- und Kostümschau noch keine Opernregie macht. Ein geteilter Abend also – auf der Bühne harmlos, aus dem Graben spannend. Ohne Altersfreigabe.
(Sendung: Piazza am 9. Dezember 2017, 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK)