Hans Neuenfels galt als Altmeister des deutschen Regietheaters. Blieb bis zuletzt auch ein großer Streitbarer: Oft gab es Ärger, wenn er auftauchte. Sein Berliner "Idomeneo" oder der Bayreuther "Lohengrin" polarisierten wie wenig andere Opern. Dabei gaben seine Inszenierungen vor allem dem Unterschwelligen und Zwischenzeiligen Raum. Jetzt ist Hans Neuenfels im Alter von 80 Jahren in Berlin verstorben. BR-KLASSIK erinnert an den großen Theater- und Opernregisseur.
Ein Provokateur blieb Hans Neuenfels zeitlebens. Aufregung gab es nicht nur bei seiner spektakulären Lohengrin-Inszenierung im Jahr 2010 in Bayreuth. Skandale begleiteten schon seine frühen Theaterarbeiten. Hans Neuenfels inszenierte damals vom "Living Theatre" beeinflusste Bühnenhappenings – darunter ein Jazz- und Lyrikhappening 1965 in Trier, für das er mit Flugblättern mit dem Aufdruck "Helfen Sie mit den Trierer Dom abzureißen?" warb.
Immer neugierig und als großer Kenner der Operngeschichte, der sogar selber einige Libretti verfasste, wandte sich Hans Neuenfels auch entlegeneren Werken des Repertoires zu. So inszenierte er 2010 in München beispielsweise die nahezu unbekannte "Medea" des Deutschitalieners Giovanni Simone Mayr.
Viele Opern sieht man Dank der Regiearbeiten von Hans Neuenfels heute anders. Über Jahrzehnte prägte er die Entwicklung des Musiktheaters entscheidend mit. Gefeiert und beschimpt wurde sein "Macbeth" 1976 in Frankfurt. Wütende Publikumsproteste gab es auch 1981 bei seiner inzwischen legendären Frankfurter "Aida", die er als suggestive "Archäologie des Unbewussten" gestaltet hatte.
Aufsehen erregten auch seine "Macht des Schicksals" 1982 an der Deutschen Oper Berlin. Im Jahr 1998 erhielt die Staatsoper Stuttgart für die Produktion von Mozarts "Entführung aus dem Serail", die Neuenfels als komplexes Spiel der Verdoppelungen inszeniert hatte, den Bayerischen Theaterpreis. Seine umstrittene Deutung von Verdis Widerstandsoper "Nabucco", mit der er im Jahr 2000 Parallelen zum Holocaust zog, feierte die Wochenzeitung DIE ZEIT als "Opern-Coup" der Saison.
Geschont hat sich Hans Neuenfels nie. In seinem künstlerischen Anspruch war er kompromisslos – vor allem sich selbst gegenüber. Vielleicht lag hierin auch ein Grund für seine zahlreichen, von Alkoholexzessen begleiteten körperlichen und seelischen Zusammenbrüche. Als einfallsreicher und provokativer Opernregisseur, der an der Rezeptions- und Interpretationsgeschichte des Musiktheaters entscheidend mitgeschrieben hat, wird Hans Neuenfels in Erinnerung bleiben.
Sendung: "Leporello" am 7. Februar 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK