Heinrich Schiff ist tot. Gestorben mit 65. Schiff war einer dieser Musiker, die alles wollen, alles geben und sich deshalb nie schonen. Einer mit kaum zu bändigender Energie. Ständig im Einsatz, musikalisch wie im Alltag. Zu seinen Auftritten reiste er gerne im weißen Porsche.
Wenn Schiff zu einem Konzert in seinem Heimatland Österreich fuhr, dann benutze er das für ihn schnellste Fortbewegungsmittel. Zu einem seiner Lieblings-Festivals, Gidon Kremers Kammermusikfest im burgenländischen Lockenhaus, rauschte er in seinem Porsche 928 an. Wenn das weiße Coupé mit dem roten Cellokasten unter der Glasabdeckung des Kofferraums gegenüber der Kirche auf dem Dorfplatz stand, wusste man: Schiff ist da. In der Wunderwelt der Kammermusik rund um Kremer war einer ihrer wichtigsten Zauberer eingetroffen.
Diese Mischung aus größter Versenkung bei permanent eingeschalteten Antennen für die Umgebung war eine besondere Qualität des Künstlers Schiff. Er gab sein Innerstes, aber er blieb in Kontakt, am engsten natürlich mit seinen Mitmusikern. Deshalb schätzten ihn solche Künstler-Solitäre wie Gidon Kremer und Martha Argerich; deshalb pulsierte ein Kammermusikabend mit ihm, sei es in Salzburg, Wien oder Lockenhaus, so heftig, dass man als Zuhörer Raum und Zeit vergaß. Seine Darbietung der Haydn-Cellokonzerte war von Schiffs kantiger Energie genauso bestimmt wie von seiner Präzision. Bachs Suiten streichelte er nicht, er meißelte sie aus dem Cello heraus. Aber dies mit einer Eleganz und Geläufigkeit, wie sie nur ganz großen Gestaltern gegeben ist.
Er war ein Star, er hatte seine Attitüden (siehe der Porsche), aber er war zu allererst und durch und durch ein Musiker. Er beherrschte den großen Auftritt als Solist großer Orchester wie dem Gewandhausorchester Leipzig oder dem Concertgebouw Orkest Amsterdam. Dirigenten wie Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt, Christoph von Dohnanyi oder Giuseppe Sinopoli suchten die Zusammenarbeit.
Eine weitere Passion Schiffs war das Unterrichten. Er unterrichtete an der Salzburger Hochschule Mozarteum, an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und er gab Meisterkurse. Von Schülern seiner Kurse hörte man, dass sie irritiert waren vom direkten Umgangston des Meisters, aber hingerissen von den musikalischen Erkenntnissen, die er ihnen vermittelte. Heinrich Schiff war zwar kein richtig umgänglicher, aber ein sehr kommunikativer Mensch. Alles nach seiner Manier.
Nachdem er aus gesundheitlichen Gründen 2012 seine Solokarriere am Cello beendet hatte, widmete er sich ganz dem Dirigieren, mit dem er sich seit 1990 immer häufiger befasst hatte. Von 1995 bis 2001 war er Chefdirigent des Orchester Musikkollegium Winterthur und hievte es auf die Landkarte der künstlerisch bemerkenswerten Kammerorchester. Von 2006 bis 2008 leitete er als Chef das Wiener Kammerorchester; in dieser Zeit gelang es ihm, Repertoire und Klang des Ensembles neue Kontur und Schärfe zu verleihen und ihm im Wiener Musikleben eine deutlich präsentere Position zu geben.
Nie war es ganz zu übersehen, dass Heinrich Schiff vor lauter Brennen für die Musik nicht alle Zeit hatte, ebenso gründlich und pfleglich auf sich selbst zu achten. Oft wirkte er mitgenommen, überarbeitet, äußerlich hastig für den Auftritt vorbereitet. Aber was sich einbrannte, das war sein Musizieren, sein Spiel auf dem Cello und auch sein Arbeiten mit Orchestern. Weil Heinrich Schiff der Musik alles abverlangte, hatte er wohl auch sich selbst alles abverlangt.