Sie ist geerdet, machtbewusst und kunstliebend. Sie kann Klartext sprechen, diplomatisch schweigen. Und Geld einsammeln. 26 Jahre war Helga Rabl-Stadler Präsidentin der Salzburger Festspiele. Nun ist ihre letzte Saison zu Ende gegangen. Ihr Vertrag läuft noch bis zum 31. Dezember, doch ein Nachfolger wird schon gesucht. Zeit für eine Bilanz: Das Porträt einer ungewöhnlichen Frau und ihres ungewöhnlichen Jobs.
Er brauche sie nicht, ließ Intendant Gérard Mortier seiner Präsidentin ausrichten – über ein Zeitungs-Interview, versteht sich. Das Amt sei entbehrlich. Und gemeint war: Entbehrlich sei auch seine Inhaberin. Wo es einen Intendanten (wie ihn) gebe, da brauche es keine Präsidentin (erst recht nicht diese). 1995 war die ÖVP-Politikerin Helga Rabl-Stadler vom Kuratorium dem damals schon legendären und heftig angefeindeten Mortier zur Seite gestellt worden. Die promovierte Juristin verstand ihre Aufgabe etwas anders als ihre Vorgänger. Diese hatten, zumal unter der Klassik-Allmacht Karajans, eher wie beflissene Sekretäre gewirkt. Nun übernahm eine bestens vernetzte Politikerin, die zuvor bereits als Journalistin erfolgreich und nebenher auch noch im ererbten Familienunternehmen tätig war.
Helga Rabl-Stadler, als Frau in einer konservativen Partei ans Kämpfen gewöhnt, gab sich keineswegs mit der Rolle einer Frühstücksdirektorin zufrieden. Was sich daraus entspann, war eine epische und kräfteintensive Auseinandersetzung, ebenso zäh geführt in den Gremien wie in den Medien. Jeden Morgen schlug man die Zeitung auf, um zu lesen, wie die andere Seite wohl nun wieder reagieren würde. Gern erzählt Rabl-Stadler eine Anekdote. Als sie antrat, stand auf dem Türschild noch "Präsident". Sie bat darum, die Aufschrift in "Präsidentin" zu ändern. Da habe man ihr ausrichten lassen: Das lohne sich nicht, so lange werde sie eh nicht bleiben. 26 Jahre sind es geworden.
In den ersten Jahren der Ära Rabl-Stadler waren die Sympathien klar verteilt. Der Erneuerer Mortier hatte nach der Erstarrung der späten Karajan-Jahre die Salzburger Festspiele wieder zu einem aufregenden Ort der Kunst gemacht. Salzburg war plötzlich wieder the place to be. Damals war das Regietheater noch eine echte Provokation. Vom verknöcherten Wiener Feuilleton wurde Mortier heftig attackiert, während die meisten deutschen Kritiker den überfälligen Kurswechsel euphorisch beklatschten. Als ich Ende der neunziger Jahre als junger Journalist zum ersten Mal intensiv über die Salzburger Festspiele berichten durfte, war natürlich Mortier mein Held. Seine Begeisterung steckte an, sein Mut faszinierte. Entsprechend reserviert blickten wir damals auf Helga Rabl-Stadler. Stand hier nicht Kunst gegen Geld? Was für ein Missverständnis!
Rabl-Stadlers Antwort auf die Sinnfrage ist eindeutig: Es geht darum, Geld zu "lukrieren", wie man in Österreich so schön sagt. Sie selbst sieht darin ihre Hauptaufgabe. Potentielle Sponsoren wollen mit einem Chef reden. Der Intendant ist voll ausgelastet mit der Kunst. Als Präsidentin kann sie ihm den Rücken freihalten.
Dazu muss man wissen, dass die Salzburger Festspiele sich völlig anders finanzieren als etwa die Konkurrenz in Bayreuth. Oder auch als ein typisches deutsches Mehrsparten-Haus. Hierzulande liegt der Anteil der Eigeneinahmen meist bei 20 bis 30 Prozent (letzteres ist nur an besonders erfolgreichen Häusern wie der Bayerischen Staatsoper möglich). Der Löwenanteil wird vom Staat finanziert. In Salzburg ist es umgekehrt: Rund 75 Prozent des Etats müssen die Festspiele selbst erwirtschaften, nur etwa ein Viertel kommt aus staatlichen Töpfen.
Neben der Arbeitsteiligkeit zwischen Geldranschaffen und Kunstmachen gibt es einen zweiten Vorteil: die langfristige Perspektive. Intendanten bleiben so etwa fünf Jahre. Rabl-Stadler blieb ein Vierteljahrhundert. Und brachte wichtige Weichenstellungen. Etwa den Bau des "Hauses für Mozart", das 2006 eingeweiht wurde. Anstelle des unansehnlichen "Kleinen Festspielhauses" bekam Salzburg damit ein zwar optisch behäbiges, dafür akustisch sehr gut funktionierendes Haus, das sich wesentlich leichter bespielen lässt als die beiden unendlich breiten Cinemascope-Bühnen im Großen Festspielhaus und in der Felsenreitschule.
Dass es neben den beiden Herren im Direktorium unbedingt wieder wenigstens eine Frau im Dreiergremium geben müsse, fordert Rabl-Stadler nun energisch. Ob sie generell für Geschlechter-Quoten sei, wurde sie im ORF gefragt. Ihre Antwort: ein klares Ja. "Weil es sonst zu langsam geht. Ich hab' das ja alles erlebt, wieviele Argumente aufgetischt werden, um nur ja keine zweite Frau in ein Gremium reinzubekommen." Die Ausschreibung läuft. Mit einer Entscheidung des Kuratoriums, in dem die Politik das Sagen hat, wird im Herbst gerechnet.
Sendung: "Leporello" am 30. August 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK