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Kritik - "Senza Sangue" & "Herzog Blaubarts Burg" Jubel für dramatische Seelen-Expedition

Was passiert, wenn Täter und Opfer zusammentreffen, wenn Schuld und Unschuld, Rache und Versöhnung miteinander ringen? Regisseur Dmitri Tcherniakov ist in Hamburg eine packende Inszenierung gelungen, die eine Bartók-Oper mit einer Kurzoper von Péter Eötvös kombiniert.

Bildquelle: © Monika Rittershaus

Welches Hotelzimmer hat schon sieben Türen und genug Platz für eine Folterkammer, eine Rüstkammer und eine Schatzkammer, um nur die Grundausstattung von "Herzog Blaubarts Burg" aufzuzählen? Trotzdem verlegte der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov Béla Bartóks düstere Schauer-Oper an der Hamburgischen Staatsoper in ein gewöhnliches, eher bescheiden eingerichtetes Doppelzimmer: Ein Bett, ein Schrank, ein Sessel. Nicht besonders gruselig also, denn die beiden Gäste, ein Mann und eine Frau, bringen ihren Schrecken schon mit.

Leben mit dem Trauma

Bildquelle: © Monika Rittershaus Der Mann war Soldat und hat vor Jahren, direkt nach irgendeinem Krieg, beinahe ein kleines Mädchen ermordet, sie aber dann doch verschont. Das Mädchen ist erwachsen geworden. Beide müssen mit ihrem Trauma leben, treffen aufeinander und haben damit die Frage zu beantworten, wie es weitergehen kann zwischen Täter und Opfer, zwischen Schuld und Unschuld, zwischen Rache und Versöhnung. Am Ende liegen sie beide verstörender Weise miteinander im Bett und ziehen sich die Decke über den Kopf. Es fließt also wenig Blut, obwohl der Mann versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden, doch ein Pflaster ist schnell zur Hand.

Zwei Opern gehen ineinander über

Knapp zwei pausenlose Stunden dauert die Konfrontation, diese hochdramatische Seelen-Expedition. Wie kann ein Mensch mit seiner Schuld weiterleben, was ist überhaupt Schuld, und wer ist wirklich unschuldig? Der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov kombinierte Béla Bartóks "Herzog Blaubarts Burg" mit der Kurzoper "Senza Sangue" aus dem Jahr 2002 von Péter Eötvös, der den Abend auch dirigierte. Fast unmerklich gingen beide Werke ineinander über.

Bildquelle: © Monika Rittershaus Erzählt wurde eine durchgehende Zwei-Personen-Geschichte, eben von Mann und Frau und ihrer gemeinsamen, fernen und tragischen Vergangenheit. Wie viele Ungarn hält sich Péter Eötvös für einen geborenen Pessimisten und fühlt sich nach eigener Aussage damit ausgesprochen wohl, denn Pessimismus sei ja nicht negativ, sondern einfach nur realistisch. Das mag jeder für sich entscheiden: Wer Krieg und Gewalt hinter sich hat, wird womöglich nicht ganz so inbrünstig an die Zukunft der Menschheit glauben wie jemand, der nur Frieden und Wohlstand kennt.

Sieben Türen sind zu öffnen

Dieser Herzog Blaubart jedenfalls entkommt seiner Vergangenheit nicht, und diese Judith weiß letztlich nicht, wie sie damit umgehen soll. Sieben Anläufe unternimmt sie, die Wahrheit über diesen Mann herauszubekommen, sieben in diesem Fall symbolische Türen öffnet sie, sie blickt auf seine Macht, seinen Reichtum, seine Verführungskünste, seine Verbrechen, aber helfen kann sie weder ihm, noch sich selbst. Wie sich schnell herausstellt, teilen beide nicht mal dieselbe Erinnerung, obwohl sie doch dasselbe erlebt haben. Klar, dass so ein Opernabend anstrengend ist und fordernd, aber in diesem Fall auch lohnend.

Novemberstimmung ohne Ironie

Bildquelle: © Monika Rittershaus Das sonst gern kritische, ja mäkelige hanseatische Publikum war berührt und applaudierte bewegt. Kein einziger Protestruf war zu hören, an diesem Haus eine Seltenheit. Dmitri Tcherniakov, der derzeit viel gefragt und auch für den nächsten "Ring" in Bayreuth im Gespräch ist, beließ es bei optisch kargen Bildern. Als sein eigener Ausstatter hatte er neben dem Hotelzimmer nur eine triste Straßenkreuzung mit einsamer Ampel und melancholischem Caféhaus entworfen. Traurige Menschen in Novemberstimmung sozusagen. Angela Denoke und Claudia Mahnke teilten sich die weibliche Hauptrolle, Sergei Leiferkus und Bálint Szabó die männliche. Alle vier spielten ergreifend intensiv und sangen authentisch, ehrlich, sich förmlich verzehrend für ihre Figuren. Dirigent Péter Eötvös begleitete das Ganze mit elegischer Strenge und heiligem Ernst. Ironie wäre hier auch fehl am Platz.

Wenn etwas zu lernen war aus diesem Abend, dann die Warnung vor jeder Art von Selbstgerechtigkeit, Leichtfertigkeit und schnellen Urteilen. Wer selbst vom Leben nie wirklich geprüft wurde, sollte besser nicht mit "Herzog Blaubart" die Burg teilen, geschweige denn das Zimmer.