Lange hat sich die Mezzosopranistin Elīna Garanča ausschließlich auf das Opernrepertoire konzentriert. Nun widmet sie sich zum ersten Mal auf einer CD dem Liedgesang – und setzt sich zugleich mit dem Frauenbild damals und heute auseinander.
BR-KLASSIK: Innerhalb Ihrer beeindruckenden Diskografie haben Sie lange einen Bogen um das Lied gemacht. Warum eigentlich?
Elīna Garanča: Ich fühlte mich einfach dafür noch nicht bereit. Meine Opernrollen waren unglaublich spannend, aber auch Kräfte zehrend. Und ich dachte mir: Für's Lied habe ich immer noch Zeit. Ich war mir auch nicht sicher, mit welchen Komponisten und welchem Liedrepertoire ich mein Debüt geben soll – bis Corona kam. Dann war es mir klar: Schumann und Brahms. Bei einer Studioaufnahme mit Mikrofon wird beim Liedgesang verlangt, ein bisschen freier und dünner zu singen, darauf muss sich dann die Stimme anders einstellen. Aber da wir durch die Corona-Pandemie doch sehr wenig gesungen haben, ist die Stimme eh etwas anders. Das war eine Herausforderung, die mir unglaublich viel Spaß gemacht hat.
Man muss für sich den geeigneten Komponisten finden.
BR-KLASSIK: An welchem künstlerischen Ideal orientieren Sie sich, wenn es um den Liedgesang geht?
Elīna Garanča: Es gibt wirklich sehr viele Sängerinnen und Sänger, die ich immer wieder mit verschiedenstem Repertoire gehört habe – egal, ob das Jessye Norman ist, Christa Ludwig, Dietrich Fischer-Dieskau oder Thomas Quasthoff. Alle haben ein bestimmtes Repertoire, das besser zu ihnen passt. So ist das bei mir auch. Ich kann zum Beispiel sagen, dass Schubert für mich nicht so ganz passend ist. Man muss für sich den geeigneten Komponisten finden und vielleicht auch eine eigene Art, wie man diese Melodien dann interpretiert. Ich bin eine Ausländerin und singe Repertoire aus Deutschland, aber ich habe die deutsche Literatur nicht im Blut. Ich kann nur meine Version davon und meine Auseinandersetzung mit deutschen Sängern oder Dirigenten darstellen.
BR-KLASSIK: Sie haben sich als Herzstück ihres Lieddebüts einen Zyklus von Robert Schumann ausgesucht, der dezidiert aus der Perspektive einer Frau erzählt: "Frauenliebe und -leben". Der Text basiert auf Gedichten von Adelbert von Chamisso, und da ist die Frau ein fügsames Wesen, das sich ganz dem Mann hingibt. Können Sie sich als moderne Interpretin ohne Vorbehalt auf dieses Frauenbild des 19. Jahrhunderts einlassen?
Ich glaube, es gibt gewisse Emotionen, die ein Mann nie verstehen wird.
BR-KLASSIK: Sängerinnen wie Christa Ludwig oder Jessye Normen haben sich ja auch an Liedzyklen gewagt, die eigentlich aus der Perspektive eines Mannes erzählen. Das lyrische Ich stimmt also nicht überein mit der Interpretin. Bislang gibt es aber keine Aufnahme von "Frauenliebe und -leben", wo sich mal ein Mann dran versucht hätte, diese Lieder zu singen. Woran liegt das?
Elīna Garanča: Ich glaube, es gibt gewisse Emotionen, die ein Mann nie verstehen wird oder kann. Es gibt zu viele Gefühle, die er nie erleben wird. Ein Mann kann kein Kind gebären. In der Musik gibt es dieses feine, intime Forte oder auch spezielle Farben, mit denen ein Mann nicht so ganz gut zurechtkommt. Vielleicht bin ich da etwas altmodisch. Ich bin nicht sicher, ob ich Mahlers Zyklus "Lieder eines fahrenden Gesellen" interpretieren könnte. Denn ich bin in einer ganz anderen Situation und habe eine ganz andere Position, auch im Leben.
Das Debütalbum der Mezzosopranistin Elīna Garanča im Liedgesang erscheint bei der Deutschen Grammophon am 6. November 2020 (die Vorbestellung läuft schon). Darauf finden sich Robert Schumanns "Frauenliebe und -leben" op. 42, sowie Lieder von Johannes Brahms. Begleitet wird sie vom Pianisten Malcolm Martineau.
Sendung: "Leporello" am 20. Oktober ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK