Für den Multipercussionisten Martin Grubinger hat Peter Eötvös das Stück "Speaking Drums" komponiert - ein Stück, in dem der Solist nicht nur spielt, sondern auch spricht, grummelt, brüllt und schreit. BR-KLASSIK hat der ungarische Komponist seine Ideen und Inspirationen für dieses Werk verraten, das Grubinger mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Zubin Mehta am 10. und 11. November aufführt.
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BR-KLASSIK: Herr Eötvös, warum komponieren Sie?
Peter Eötvös: Oh Gott, keine leichte Frage! Ich muss. Ich habe ständig Ideen im Kopf und höre dauernd Musik. Schon mit vier Jahren habe ich angefangen zu komponieren, einfach so. Noten und Buchstaben schreiben, Klavier spielen, das gehörte und gehört einfach zu meinem Leben.
BR-KLASSIK: Sie komponieren seit frühester Kindheit - und Sie komponieren immer, sogar wenn sie dirigieren, das meinten Sie mal in der BR-Sendung KlickKlack. Gibt es wirklich keine Momente, in denen da Stille ist in Ihrem Kopf?
Peter Eötvös: Doch, doch, in einigen wenigen Situationen. Meistens, wenn ich mit meinem Hund spazieren gehen. Oder wenn ich schwimme. Und manchmal mache ich auch ganz bewusst eine Pause. Auch wenn das leider selten vorkommt, weil ich ein sehr dichtes Leben und drei Berufe habe, die alle etwas mit Musik zu tun haben: Dirigent, Komponist und Lehrer, bei meiner Stiftung, wo ich junge Dirigenten und Komponisten ausbilde.
BR-KLASSIK: Können Sie sich noch an die Situation erinnern, in der Ihnen die ersten Ideen zu Ihrem Stück "Speaking Drums" kamen?
Ich fand Martin einfach fantastisch!
Peter Eötvös: Als ich den Auftrag erhielt, für Martin ein Stück zu schreiben, musste ich sofort an ein Konzert in Wien denken: die Wiener Philharmonikern und Martin Grubinger mit dem Schlagzeugkonzert von Friedrich Cerha. Ich habe dirigiert, Martin hat gespielt. Diese Erfahrung war so positiv, ich fand Martin einfach fantastisch! Da wusste ich direkt, in welche Richtung ein Stück für Martin gehen kann. Ich habe ihn dann in der Nähe von Salzburg besucht, wir haben alles besprochen und die Instrumente ausgewählt. Ich glaube, am Ende ist es ein sehr typisches Grubinger-Stück geworden, eins, wo er sein Showtalent zeigen kann, nicht nur als Schlagzeuger, sondern auch allgemein als jemand, der auf der Bühne etwas präsentiert.
BR-KLASSIK: Martin Grubinger darf in dem ihm gewidmeten Stück ja nicht nur spielen. Er spricht auch, er grummelt, brüllt und schreit. Der Titel "Speaking Drums" ist also wörtlich zu nehmen. Was waren denn Ihre Hintergedanken dabei, das Sprechen und das Spielen in einem Stück zusammen zu bringen?
Peter Eötvös: Ich habe das bei indischen Trommlern gesehen und gehört. Sie trommeln das, was sie sagen. Das heißt, sie sprechen einen bestimmten Text und in demselben Tempo, in demselben Rhythmus spielen sie Schlagzeug dazu. Dadurch wird es sehr farbig, aber auch sehr sprechend, als würden sie eine Geschichte mit dem Instrument erzählen. Diese Haltung habe ich für mein Stück übernommen. Dabei spielen zwei Dichter bzw. deren Texte eine wichtige Rolle. Einmal der ungarische Dichter Sandor Weöres, der sehr viele Nonsens-Gedichte geschrieben hat, die keine Bedeutung haben, sondern nur eine rhythmische Funktion erfüllen. Ähnlich wie Kinderlieder, die ja auch oft nichts bedeuten und mehr eine Art rhythmisches Trallala sind. Und der andere Text kommt von Jayadeva, einem indischen Dichter aus dem 12. Jahrhundert. Alle Texte haben eindrückliche Rhythmen. Diese auf Schlaginstrumente und aufs Orchester zu übersetzen, ist ein Genuss.
BR-KLASSIK: Eine andere augenfällige Sache bei "Speaking Drums" ist, dass ganz stringente Strukturen freien, blitzartig hervorbrechenden Strecken gegenüber stehen, in denen Improvisation möglich ist. Sie sind ein Komponist, der den Solisten in seinen Stücken Raum gibt, der ihnen vertraut, ihnen viele Freiheiten zugesteht. Warum ist das für Sie so wichtig?
Peter Eötvös: Einerseits finde ich die Tradition des Improvisierens fantastisch. Ich denke an die Barockzeit und auch später, die Zeit, in der noch Konzerte komponiert worden sind, in denen die Solisten bei den Kadenzen improvisieren konnten. Da war Erfindungsreichtum gefragt und die Solisten konnten zeigen, was sie wissen und können, auch technisch. Andererseits habe ich eine große Vorliebe für Jazz. Ich finde es fantastisch, wie Jazz-Musiker auch ohne vorgeschriebene Noten improvisieren können. Und meine Intention bei den freien Stellen ist eben, dass jemand wie ein Grubinger alles zeigen kann, was ich nicht kann. Als Komponist bin ich eben doch begrenzt. Ich weiß, wie weit ich komme, und ab jenem Punkt sage ich dann: Komm, Junge, jetzt mach mal was.
BR-KLASSIK: Und Martin Grubinger macht ... Er ist ja so eine Art Popstar in seinem Bereich. Er hat einen regelrechten Schlagzeug-Hype losgetreten mit seinen Interpretationen. Sie haben das Werk bereits mit Grubinger als Solist dirigiert. Gibt es etwas, das Sie ihm hinterher mit auf den Weg gegeben haben für nachfolgende Aufführungen von "Speaking Drums"?
Peter Eötvös: Das war eigentlich nicht nötig. Er ist so erfahren, er wusste alles sehr genau. Das einzige, worauf man immer mal wieder aufmerksam machen muss ist, dass der Text sehr deutlich ausgesprochen werden muss - besonders die Konsonanten, damit die rhythmische Funktion des Textes richtig hervortritt. So deutlich, wie er spielt, so deutlich muss er sprechen. Und das macht er.
BR-KLASSIK: Lassen Sie uns noch über das Konzert sprechen. Zubin Mehta dirigiert. Auf dem Programm stehen neben "Speaking Drums" noch Schönbergs Kammersymphonie Nr. 1 und dessen "Kol nidre" sowie Bruckners "Te Deum". Wo sehen Sie denn Ihr eigenes Werk zwischen Schönberg und Bruckner. Wie fügt sich das ein?
Mit Schönbergs Sprache bin ich aufgewachsen.
Peter Eötvös: Zu Bruckner sehe ich keine besondere Beziehung in meinem Stück. Zu Schönberg aber auf jeden Fall, denn mit dieser musikalischen Sprache bin ich aufgewachsen. Meine Ausbildung neben dem klassischen Repertoire kam aus der ungarischen Musik, hauptsächlich von Bartók, und von der Zweiten Wiener Schule. Webern, Berg und Schönberg hatten einen sehr großen Einfluss auf meine musikalische Entwicklung. Wenn ich ein Werk von Schönberg vor meinem Stück höre - wunderbar. Zudem habe ich in den dritten Teil meines Konzerts eine Suite eingearbeitet, so, wie das auch Schönberg gerne mochte. Klassische Tanzsätze, die aufeinander folgen, wie man es aus der Barockzeit kennt. Aus der tänzerischen Haltung heraus ergeben sich bestimmte rhythmische Charaktere, die eine sehr fließende Musik zur Folge haben. Die Grundrhythmen habe ich dabei soweit wie möglich beibehalten. Und diese Serie von Tanzsätzen hat im Geiste doch etwas von Schönberg.
BR-KLASSIK: Ihre Musik ist nicht Musik um ihrer selbst willen. Da spielt Theater eine Rolle, Gestik und Klang kommen zusammen, musikalische Figuren werden zu tatsächlichen Figuren, die Musik wird lebendig. Basis aller Künste sei der Zirkus, haben Sie mal gesagt. Was genau meinen Sie damit?
Peter Eötvös: Der Zirkus ist eine Kunst für sich. Alles, was die Akrobaten dort machen, ist lebensgefährlich. Und die Lebensgefahr mit der Kunst zu verbinden, das sollte wirklich die Grundlage aller Künste sein. Das, was ich komponiere, muss ich genauso ernst nehmen wie die Artisten ihre Kunststücke im Zirkus. Wenn sie einen Fehler machen, wenn sie runterfallen, müssen sie noch mal hochklettern und es noch mal probieren. Sie können sich nicht begnügen mit einem "Ach, das hat jetzt halt nicht geklappt". Und das gilt für alle Künste.
Das Gespräch führte Kristin Amme für BR-KLASSIK.