2012 wurde die Oper "Babylon" von Jörg Widmann in München uraufgeführt – und von der Kritik eher wenig begeistert aufgenommen. Für die Berliner Lindenoper hat der Komponist sein Werk nun noch einmal überarbeitet. Doch auch in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg erlebte unser Kritiker Uwe Friedrich einen uninspirierten Abend.
Laut geht es zu an diesem Abend des Mythen-Gemischs an der Berliner Staatsoper. Die Staatskapelle geht unter dem Dirigenten Christopher Ward kräftig in die Vollen, ebenso wie Komponist Jörg Widmann sich lustvoll bei seinen Vorgängern von Wagner und Strauss bis Reimann und Rihm bedient hat für die Geschichte des Tammu, der sich nicht entscheiden kann zwischen der lasziven Göttin Inanna und der deutlich abstrakter veranlagten Seele. Dieses Dilemma gibt allen Beteiligten ausführlich Gelegenheit, aufeinander einzureden, was sie in der gestelzten Sprache des Philosophen Peter Sloterdijk machen. Vom Herz-Schmerz-Reim bis zum aufgeplusterten Symbolismus ist für jeden was dabei - und wahrscheinlich ist alles ernst gemeint. Die Figuren bleiben dabei blutleere Allegorien und flache Pappkameraden.
Damit konnte auch Regisseur Andreas Kriegenburg wenig anfangen und ließ sich von Bühnenbildner Harald Thor einen Riesensetzkasten mit vielen kleinen Fächern bauen. Dort stellt er den Chor ab. Dieses angeschmuddelte Hochhaus fährt schwungvoll hoch und runter, gibt so den Blick in Katakomben und Gelasse, Zimmerchen und Säle frei, in denen bemerkenswert wenig geschieht. Höhepunkt der szenischen Aktion ist eine Orgie, bei der Männlein und Weiblein sicherheitshalber ihre fleischfarbenen Untertrikotagen anbehalten, das Staatsopernpublikum könnte ja vom Anblick der Geschlechtsteile irritiert werden. Nicht der einzige peinlich-verklemmte Moment dieser uninspirierten Inszenierung.
Die Solisten drängeln sich notgedrungen auf einer kleinen Spielfläche vor dem Hubpodium und stehen sich im Weg, singen von dort ins Publikum. Worum es dabei gehen soll, weiß offenbar niemand so genau. Mythen-Synchronopse mit anschließender Versöhnung der Religionen vielleicht. Der Sieg der Liebe, wenn Inanna den geopferten Tammu aus der Unterwelt zurückholt wie einst Orpheus seine Eurydike, nur mit verkehrten Vorzeichen, also irgendwie emanzipatorisch. Kinder spielen zum Schluss Abklatschen und schauen in eine irgendwie geartete Zukunft, die hoffentlich nicht so langweilig ist wie dieser zunehmend zähe Abend.
An Belanglosigkeit kaum zu übertreffen ist ein Liebesduett, das auch in einem Kommerz-Musical nicht weiter auffallen würde. Komponist Jörg Widmann holt sich die Inspiration eben dort, wo er sie finden kann, und die Grenzen zum Kitsch sind schon lange überschritten, wenn Regisseur Kriegenburg dazu noch Regenbogenschals verknoten lässt. Gesungen und musiziert wird allerdings hervorragend, wenn auch über weite Strecken zu laut. Mojca Erdmanns Seele und Susanne Elmarks Inanna leuchten mühelos über den Orchesterwogen, Marina Prudenskaya gibt dem singenden Euphrat stimmliche Tiefe, während der wunderbare Countertenor Andrew Watts als Skorpionmensch fasziniert. Einzig der Tenor Charles Workman kämpft sich mit engen Tönen durch seine Partie. Staatskapelle und Staatsopernchor legen sich unter dem kompetenten Dirigenten Christopher Ward mächtig ins Zeug, und doch hat der Abend nur eine Botschaft: Wir an der Berliner Staatsoper machen so was, weil wir es können. Klar, kein Zweifel. Die Frage ist bloß: Wozu?
Sendung: "Allegro" am 11. März 2019, ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Oper in sieben Bildern von Jörg Widmann (2012/2019)
Text von Peter Sloterdijk
Staatsoper Berlin
Regie: Andreas Kriegenburg
Staatsopernchor und Staatskapelle Berlin
Leitung: Christopher Ward
Informationen zu Terminen, Besetzung und Tickets finden Sie auf der Homepage der Staatsoper Berlin.