BR-KLASSIK

Inhalt

Liederabend Jonas Kaufmann Hier wird nicht gegrollt

Traditionell gibt es zu den Opernfestspielen in München immer auch Liederabende der Stars. Jonas Kaufmann hat sich Schumanns "Dichterliebe" sowie Werke von Liszt vorgenommen, an der Seite von Helmut Deutsch. Zwei unterschiedliche Welten – mit unterschiedlichen Ergebnissen

Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch, Liederabend am 11. Juli 2024 im Nationaltheater | Bildquelle: Wilfried Hösl

Bildquelle: Wilfried Hösl

Vertonte Liebesgedichte sind naturgemäß eine heikle Sache. Die ohnehin komplexe Angelegenheit der Liebe wird durch die Brille der Lyrik gewürzt mit psychologischem Feinsinn, moralischem Zeigefinger und symbolischen Untertönen. Die Musik zieht dann nochmal die ein oder andere Ebene drunter und drüber. Das gilt in hohem Maße für Robert Schumanns "Dichterliebe" (Titel von Schumann selbst gewählt) nach Vorlagen von Heinrich Heine. Die zerrissene Gefühlswelt des Protagonisten, der in Erinnerungen an eine unerwiderte Liebe schwelgt, wird bei Schumann nicht nur standesgemäß emotional aufgeladen, sondern gerade in den wundersamen Vor- und vor allem Nachspielen des Klaviers weitergedacht. Da braucht es volle Konzentration von Beginn an, um diesem Wechselbad den entsprechenden Gesamtguss zu verleihen.

Kaufmann braucht Anlaufzeit

Jonas Kaufmann braucht ein wenig Zeit, um in dieser Reise bei seinem Liederabend im Münchner Nationaltheater anzukommen. Eher beiläufig kommt der "wunderschöne Monat Mai" im Auftakt daher, im vierten Lied ("Wenn ich in deine Augen seh‘“) erinnert das Lyrische Ich die Worte der Angebeteten "Ich liebe dich" – und Kaufmann wechselt auch mit einer Nuance Stimmfarbe und Rolle, allein: Die anschließenden Tränen darüber singt er genauso weiter, ohne wieder "zurück" zu wechseln.

Münchner Opernfestspiele

Hier erfahren Sie alles über die diesjährigen Münchner Opernfestspiele – auch über die Opernpremieren von György Ligetis "Le Grand Macabre" und Claude Debussys "Pelléas et Mélisande".

Psychologischer Feinsinn – Unsensibles Publikum

Aber spätestens bei der Nr. 7 "Ich grolle nicht" ist er ganz drin im Charakter – da mischt sich Sarkasmus in den Schmerz, da flackert Hohn, da dunkelt Kaufmann kurz ab ins Fahle bei der Traumstelle, um gleich kristallklar aufzuhellen, als gäb’s nie eine Debatte um sein baritonales Timbre, da sieht man die Schlange, die am Herzen frisst – großartig. Ja, der Traum: Er spielt eine tragende Rolle in diesem Zyklus, da wird auch mal "geweinet", da wird so manches imaginiert, und er wird am Ende auch begraben, der Traum. Doch das Münchner Publikum will nicht träumen, es zerstört die Magie, indem es vor dem abschließenden Lied klatscht, im Glauben (oder in der Hoffnung?), es sei vorbei. Sehr schade, für Schumann freilich, der sich hier natürlich was gedacht hat, aber vor allem für Kaufmann und seinen einfühlsamen Partner Helmut Deutsch am Klavier, der Wundersames in den textfreien Girlanden zaubert und dem Tenor einen Teppich ausbreitet, auf dem man fast nur (traumwandlerisch sicher) fliegen kann. Aber auch das Nachspiel zum letzten "Sarges"-Lied wird vom Publikum abgegrätscht in rotverdächtiger Fußballmanier.

Italienischer Schmelz mit Franz Liszt

Das geht auch nach der Pause bei Liedern von Franz Liszt munter weiter – so irritierend, dass Kaufmann dann eine kleine Ansage macht, man möge sich doch mit der Freude ein wenig gedulden, man bekomme bei gehaltener Spannung auch (noch) mehr Genuss – natürlich ohne Vorwurf, very charming rübergebracht, mit dem federnden Rückenwind der Italianità, die durch die Petrarca-Sonette von Liszt wehen. Das sind selten zu hörende, teils eruptiv ausbrechende Wallungen aus der Zeit der italienischen Pilgerjahre des Klaviervirtuosen Liszt. Repertoire, das dem heldisch-veristischen Tenor Kaufmann liegt, Stücke, in denen er die Handbremse hörbar lockert und die Spitzentöne auch mal mit Schmelz garniert. Den nimmt er aber in den deutschen Liedern von Liszt wieder angenehm zurück, da schimmert dann das Wasser des Rheins, da blitzt das Geschmeide, da lockt das goldene Haar der Loreley. Sind die großen Intervallsprünge in den Sonetten nicht immer Kaufmanns Sache, ist er technisch bei den Vorlagen von Goethe und Heine wieder ganz auf der Höhe, schattiert überzeugend ab, dosiert durchdacht zwischen Brust und Kopf. Auch schafft er es, wie auf dem Höhepunkt von Schumanns "Dichterliebe", innerhalb eines Stücks die Geschichte nachzuerleben, die ganze Emotions- und Psychologie-Palette einer Situation greifbar, hörbar zu machen. Große Jubel-Entladungen mitsamt einigen Zugaben, allesamt im Liszt-Kosmos.

Sendung: "Allegro" am 12. Juli 2024 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (9)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Dienstag, 23.Juli, 02:09 Uhr

Mageda David

Krähen und Unken

Die versierten Kritiker können es erst recht nicht. Einfühlsames Singen kann Herrn Kaufmann nicht abgesprochen werden. Darauf kommt es an!

Montag, 22.Juli, 17:25 Uhr

Konrad Messerer

J. Kaufmann/Publikum

…wer sich auf diese Sänger-Bahn begibt, erhält auch das dafür geeignete Publikum. Es dürfte kaum einen Sänger geben, der ähnlich kontrovers- auch in den Rezensionen - betrachtet wird. Wer die liest, hat den Eindruck, mind. zwei Konzerte besucht zu haben. Während der eine über die hörbar angegriffene Stimme des Sängers schreibt, hört der andere offenbar Engel singen. Nach meinen Eindrücken neige ich zu ersterem. Die Maßstäbe wahrhaft großer Vorgänger des Herrn Kaufmann scheinen nicht mehr zu gelten. In derart lädierter Verfassung vor ein - wie auch immer geartetes Publikum zu treten, grenzt an Betrug. Die Stimme sitzt nicht, hat nie festen Halt in einer Tenor-Lage besessen und müht sich durch den Abend. Dafür sitzt Publikum, die Herrn Kaufmann wofür auch immer - wie beschrieben vorschnell- applaudieren. Es gibt inzwischen Rezensenten die den Sänger noch „in Kauf nehmen“. Wer H. Kaufmann kritisiert, muß mit bösen Kommentaren rechnen. Das Publikum ist bescheiden geworden…

Montag, 15.Juli, 00:50 Uhr

Ute Zeeb-seidenspinner

Liederabend Jonas Kaufmann

Die Konzertkritik von Jonas Kaufmanns Liederabend in der Abendzeitung finde ich absolut geschmacklos !
Für einen hauptberuflichen Sänger ist es verdammt schwierig und schlimm, wenn es gesundheitliche stimmliche Probleme gibt und dabei genau richtig abzuschätzen , wann was wieder gut machbar ist.

Es mag sein, dass die Höhe zur Zeit nicht wieder ganz so selbstverständlich zur Verfügung steht wie vorher, aber das wichtigste ist das Musikalische und die Atmosphäre , die ein Künstler rüberbringt . Ich finde, er sollte seine Stimme nicht hauptsächlich in der Oper "auspowern", sondern viel mehr auch im kammermusikalischen Bereich einsetzen.
Er ist bei Liedern so feinfühlig:
Ich liebe seine Aufnahme auf YouTube von Schumanns "Mondnacht" und auch die von "Guten Abend gut Nacht" von Brahms in schlichtem, sehr schönem Klang!

Sonntag, 14.Juli, 13:21 Uhr

Erika.kneer@freenet.de

Applaus

Diesen Applaus an falscher Stelle,ich erlebte es kürzlich auch bei einer Beethoven Symphonie ,4 Sätze,nach jedem Satz wurde von 30% des Publikums geklatscht!
Echt traurig diese Unkenntnis der Werke!

Samstag, 13.Juli, 20:39 Uhr

Gisèle Grahé

Fussballmanier, Jonas Kaufmann

Ja, was soll ein Publikum mit 'Beckenbauer-Gedenkkonzert', Rolex-Spirit und vor allem neuem Einfluss of 'Enjoy' and 'Just für fun' as an "englishman in Munich'' anderes machen als just for fun daneben liegen ? Poesie, Heine, Goethe, Lieder haben eine Dimension, die vielleicht unter dem Pop- und Sir-Einfluss systematisch verloren geht und ausgejubelt wird

Samstag, 13.Juli, 10:59 Uhr

Yvonne Schubert

Liederabend

Ich kann die Kritik nur unterstreichen. Ich wage zu sagen, dass ich noch nie so ein schlecht zuhörendes Publikum erlebt habe ! Es war unruhig, nervös und ohne Feinsinn für die Musik. Selbst die wirklich klaren Worte von Jonas Kaufmann scheint das Publikum nicht wahrgenommen oder gehört zu haben ! Fast meint man sich bei den Künstlern entschuldigen zu müssen.
Auf der anderen Seite könnte auch überlegt werden, ob die Räumlichkeiten des Nationaltheaters sich für einen Liederabend eignen. Meiner Meinung nach viel zu groß für dieses Genre ! Aber da scheint eben auch wieder das Geld zu regieren !

Freitag, 12.Juli, 17:32 Uhr

Angelika Evers, Hamburg

Liederabend

Ich war total irritiert, dass es in einem Haus, wie der Bayrischen Staatsoper Zwischenapplaus bei einem Liederabend gab. Gilt das Publikum in München doch allerorts als kenntnisreich und diszipliniert. Leider wurde an diesem Abend gleich mehrfach die wunderbare, von Herrn Kaufmann aufgebaute Stimmung zerstört und selbst die letzten Klaviertöne des großartigen Helmut Deutsch gingen manchmal unter. Zu schade um einen sonst wirklich schönen Liederabend.

Freitag, 12.Juli, 13:21 Uhr

Christina Gentili

Liederabend

Ich war gestern bei dem Liederabend und kann bestätigen, dass ich den Beifall zur falschen Zeit als extrem störend empfunden habe. Auch war eine ständige Unruhe spürbar, ständiges Husten (mein Trick: präventiv ein Hustenbonbon in der Backentasche), es fielen Gegenstände herunter und es ertönten minutenlang Handyalarme. Ein Liederabend ist nun mal keine Opernveranstaltung und auch kein Arienabend, da herrscht eine viel intimere Atmosphäre. Schade!

Freitag, 12.Juli, 10:55 Uhr

Rainer Komosin, München

Liederabend J. Kaufmann

Danke für ihren einfühlsamen Kommentar. Wie schade, dass ich leider nicht dabei sein konnte und doch habe ich Kaufmann zwischen ihren Zeilen singen hören. Er ist einer der intelligentesten und dabei ausdruckstärksten Liedinterpreten, der die Zuhörer in seine musikalische Welt bereitwillig entführt. Schade, dass sicherlich aus der Freude heraus bekundeter Beifall diesen Genuss beeinträchtigt hat.

Mehr zum Thema

Neu bei BR-KLASSIK

    AV-Player