Ein Serienmörder als Märchenfigur: Der Stoff ist verstörend. In seiner einzigen Oper erzählt Béla Bartók die Geschichte von Herzog Blaubart, dessen frühere Frauen rätselhafterweise verschwunden sind. Regisseurin Katie Mitchell deutet die Geschichte als feministischen Psychokrimi. Und erzählt in einem Film die Vorgeschichte der Opernhandlung, begleitet von Bartóks berühmtem Konzert für Orchester. Mit Nina Stemme als Judith und Oksana Lyniv als Dirigentin sind zwei weitere große Künstlerinnen am Start, den Blaubart singt John Lundgren. Am Samstag war Premiere.
Im Märchen ist Blaubart ein Verbrecher. Er verbietet seiner Frau, einen bestimmten Raum zu betreten. Natürlich tut sie es doch – und findet dort die Leichen von Blaubarts früheren Frauen. Nun soll sie ebenfalls sterben. Blaubart hat schon sein Schwert gezogen, um ihr den Kopf abzuschlagen. Doch im letzten Moment wird sie von ihren Brüdern gerettet.
Eine drastische Story. Béla Bartók hat daraus etwas völlig anderes gemacht: ein Beziehungsdrama voller Symbole und Doppeldeutigkeiten. Bei Bartók ist Blaubart ein grausamer, aber verletzlicher Mann. Die früheren Frauen leben – eingesperrt in der düsteren, verschlossenen Burg, die für Blaubarts Seele steht. Die Geschichte wird ins Psychologische verschoben: Hinter der Grausamkeit verbirgt sich männliche Beziehungsunfähigkeit.
Noch bleiben alle Figuren stumm, nur Bartóks Musik gibt den Bildern Klang und Rhythmus. Und das wirkt deswegen so stark, weil der Film auf die Musik reagiert – ohne dabei sklavisch der Komposition zu folgen. Jede Ebene hat eine in sich stimmige Dramaturgie. Doch zusammen ergeben sie etwas völlig Neues. Die Bilder hören auf die Klänge, die Musik taucht die Bilder in intensiveres Licht. Verstörende Großaufnahmen bohren sich wie im Fortissimo ins Auge, die Orchesterfarben werden sichtbar und der Bildschnitt setzt Kontrapunkte zu Bartóks mitreißenden Rhythmen.
Reingehen lohnt sich nämlich absolut. Nicht nur die szenische Umsetzung ist rundum stimmig, auch die musikalische. Nina Stemmes dramatischer Sopran klingt nicht mehr ganz so mühelos wie früher, aber hat immer noch eine vom ersten Ton an in Bann ziehende, dunkel leuchtende Intensität. Stark auch John Lundgren, der dieser Bariton-Partie passend zur düsteren Inszenierung souveräne Bass-Schwärze verleiht. Wie differenziert und farbenprächtig das Bayerische Staatsorchester die beiden Bartók-Partituren umsetzt, ist wirklich großartig. Die strenge Probenarbeit von Dirigentin Oksana Lyniv hat sich gelohnt. Atemberaubend unheimlich gelingen die Pianissimo-Stellen. Die rhythmisch vertrackten Bläser-Soli werden punktgenau und mit jazzigem Groove serviert. Und die überwältigende Orchesterpracht, die immer wieder jäh zusammenbricht, versinnlicht eindrucksvoll Blaubarts grenzenlose Macht-Phantasien. Unbedingt hörens- und sehenswert.
Sendung: "Allegro" am 03. Februar 2020 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Am 7. Februar 2020 wird die Vorstellung von "Judith" an der Bayerischen Staatsoper auf BR-KLASSIK live übertragen – ab 18.30 Uhr im Videostream und im Radio.