Er ist ein Mammutwerk, weit umfangreicher noch als Wagners "Ring": Karlheinz Stockhausens siebenteiliger Opern-Zyklus "Licht". Für jeden Wochentag hat der 2007 verstorbene Komponist eine eigene Oper gegeschrieben. Jetzt hat das Ensemble "Le Balcon" den zweiten Tag, "Dienstag aus Licht" auf die Bühne der Pariser Philharmonie gebracht.
Wer Angst vor Aerosolen hat, sollte da eigentlich nicht mitspielen. Denn was der aus Kürten stammende Großmeister gigantischer Musiktheater-Spektakel im zweiten Akt seiner Oper "Dienstag aus Licht" veranstaltet, ist wohl singulär hinsichtlich der harmonischen Strukturen – aber auch, was den körperlichen Einsatz der Musizierenden betrifft.
Die überwältigende musikalische und szenische Schlacht wird in Paris ergänzt durch raumgreifende Videoprojektionen des Künstlers Nieto, der Flugzeuge durch die gesamte Philharmonie schickt – diese brennen, stürzen ab, weitere folgen. Wenn man weiß, dass der Komponist hier eigene Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg verarbeitet hat, wirkt die Sache naturgemäß noch intensiver.
Nachdem Eva Michael ausführlich getröstet hat, begegnen wir einem völlig durchgeknallten Wesen namens Synthi-Fou (wirklich brillant: Sarah Kim), das uns mit absurden Gesten und abwegigen Tönen in die frühe Nacht schickt, denn die Aufführung wurde auf den Nachmittag verlegt, schließlich ist ja derzeit um 21 Uhr Sperrstunde an der Seine.
Im ersten Teil des Abends, nein, Nachmittags gab es auch schon zwei kämpferische Begegnungen zwischen Luzifer und Michael, mal als gegeneinander gesetzte Chöre, mal als "Jahreslauf". Hier malen vier Tänzerinnen und Tänzer die Zahl 2020 mit ihren Füßen auf den Boden, während Luzifer andauernd für Ablenkung sorgt und die Zeit anhalten möchte. Ein extrovertierter Koch schaut vorbei, außerdem Wesen, die Blumen verschenken sowie eine vollständig nackte Revuedame...
Und Maxime Pascal mit seinem Ensemble Le Balcon zeigt in seiner bereits dritten Auseinandersetzung mit "Licht", wie gut mittlerweile alle die komplexen Texturen beherrschen. Bis 2024, so der Plan, werden dann alle sieben Opern von Le Balcon aufgeführt sein. Dass hat bisher keine Compagnie, kein Festival, kein Opernhaus geschafft. Schon für das Bisherige und die kommenden Pläne daher: Chapeau et bonne chance!
Sendung: "Leporello" am 26. Oktober 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK