Die amerikanische Musikgeschichte ist untrennbar verbunden mit der Geschichte der Sklaverei. Denn die versklavten Afrikaner brachten auch ihre musikalischen Traditionen mit, zusammen mit den traditionellen europäischen Klängen verschmolzen sie zu Musikrichtungen wie Blues, Jazz, R&B, Techno und Hip-Hop. In diesen Genres sind schwarze Musikerinnen und Musiker häufig vertreten und überaus populär. Anders in der Klassik: Nur etwa zwei Prozent der Musiker in klassischen Ensembles sind Schwarz.
Bild: Das Oakland Symphony Orchestra mit Dirigent Michael Morgan
In der Klassikwelt gibt es nur sehr wenige schwarze Dirigenten. Einer von ihnen heißt Michael Morgan. Er leitet das Oakland Symphony Orchestra. Morgan bedauert, dass nur wenige Menschen an Schwarze denken, wenn es um Dirigenten geht. "Und wenn sie uns ansehen, dann denken sie nicht, dass wir Dirigenten sein könnten", so Morgan.
Wenn Menschen an Dirigenten denken, dann denken sie nicht an Leute, die aussehen wie wir.
Gemeinsam mit seinen ebenfalls schwarzen Kollegen Thomas Wilkins, Jonathon Heyward und Roderick Cox sprach Morgan in einer Videodiskussionsrunde bei Facebook über Rassismus und Diskriminierung. Darüber, wie Morgan es geschafft hat, sich in der Klassikwelt als schwarzer Dirigent zu behaupten. Fehler, so sagt er, würden nicht akzeptiert. Dabei mache jeder zu Beginn Fehler. Morgans Erfahrung nach sei die Geduld oft gering, wenn jemand nicht so aussieht, wie erwartet: "Bei Frauen und Minderheiten bedeutet das oft das Karriere-Aus", so der Dirigent.
Schwarze klassische Musik – sie ist eher eine Randerscheinung. In den 1930er-Jahren schrieb der Komponist William Dawson die so genannte "Negro Folk Symphony" – eines der sehr wenigen Beispiele klassischer Musik von schwarzen Komponisten, die heute fast in Vergessenheit geraten ist. Laut einer Studie der League of American Orchestras aus dem Jahr 2014 sind weniger als zwei Prozent der Musiker und Musikerinnen in amerikanischen Orchestern Schwarz. Nur 4,3 Prozent der Dirigenten haben eine schwarze Hautfarbe, und auch die Komponisten bleiben überwiegend Weiß.
Ein Grund dafür liegt sicher in der Demographie: Insgesamt sind nur etwa 13 Prozent der US-Amerikaner Schwarz. Eine Rolle spielt aber wohl auch, dass der Klassikbereich nach wie vor recht elitär ist. Tickets sind tendenziell teuer, Klassikkonzerte, Oper und Operetten gelten als Oberschichten-Vergnügen. Viele Schwarze können sich das gar nicht leisten, weil sie in Jobs arbeiten, die weniger Geld einbringen. Auch das ist eine Form von strukturellem Rassismus.
Rassismus ist das Fehlen von Empathie.
Schwarze Dirigenten wie Brandon Keith Brown, der in Deutschland und den USA arbeitet, beobachten: Das Publikum bleibt bei den Konzerten eher unter sich, in diesem Fall also: unter Weißen. Und das gelte auch für die Musiker, erzählt Brown im Klassikpodcast "Trilloquy". Für Brown ist Rassismus ein Fehlen von Empathie. Wenn jemand also anders aussieht, wird ihm weniger Empathie entgegengebracht. Mit gravierenden Folgen: "So wird institutioneller Rassismus geformt", erklärt der Dirigent. Denn man bliebe immer in seinen Kreisen, stelle nur Leute ein, die man kennt: "So bleibt die Besetzung von Universitätsstellen, Orchestervorständen und in Orchestern Weiß."
Sendung: "Leporello" am 08. Juni 2020 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK