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BR-KLASSIK kommentiert den Fall Barenboim Dialog und Starrsinn

Gegenüber BR-KLASSIK haben sich erstmals betroffene Orchestermusiker namentlich zu den Vorwürfen gegenüber dem Führungsstil von Daniel Barenboim geäußert. Auch Verteidiger haben sich zu Wort gemeldet – und Barenboim selbst. Doch in dieser Diskussion soll das eigentliche Thema nicht aus dem Blick geraten: Wie weit darf ein Dirigent gehen, wenn er künstlerische Höchstleistungen einfordert? Ein Kommentar von Bernhard Neuhoff.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das Wort Genie sollte eigentlich für Komponisten reserviert sein. Aber die Vielzahl von Talenten, die Daniel Barenboim als Interpret in sich vereinigt, ist schon ehrfurchtgebietend: pianistisches Wunderkind, überragender Virtuose, großer Dirigent, gewiefter Kulturpolitiker und weltweit beachteter Botschafter des Friedens zwischen Israelis und Palästinensern. All das bleibt. Bleibt bestehen, bleibt unbestritten und bewundernswert.

Barenboim irrt

Und deshalb irrt Daniel Barenboim. Er betrachtet nämlich die Kritik an seinem Umgang mit Orchestermusikern als Versuch, ihn, wie er am Donnerstag gegenüber dpa und rbb sagte, aus Berlin zu vertreiben. Der Hintergrund: Derzeit laufen Verhandlungen mit der Berliner Kulturpolitik über eine Verlängerung seines Vertrags. Doch darum geht es nicht. Es geht nicht darum, einen großartigen Künstler vom Sockel zu stoßen. Es geht darum, ein Gespräch zu ermöglichen. Ein Gespräch, das offenbar dringend nötig ist und längst fällig gewesen wäre. Dass es so lange nicht zustande kam, dass alles buchstäblich unterm Deckel blieb, ist vor allem ein Versäumnis der Politik. Denn das Thema war in der Klassik-Community seit langem bekannt. Und müsste eigentlich auch den politisch Verantwortlichen zu Ohren gekommen sein. Das Thema lautet: Wie weit darf ein Dirigent gehen, der von Musikern künstlerische Höchstleistungen verlangen muss?

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Welche Mittel sind legitim?

Die Frage stellt sich besonders aktuell und besonders krass im Fall Daniel Barenboims. Sie betrifft aber auch sehr grundsätzlich eine ganze Reihe seiner Kollegen. Natürlich, ein Dirigent braucht Autorität. Herausragende musikalische Abende entstehen nicht basisdemokratisch. Alles richtig. Aber welche Mittel sind dabei legitim? Und wieviel Druck ist dem Ergebnis überhaupt förderlich? Die notwendige Macht des Dirigenten ist mit besonderer Verantwortung verbunden. Und der wird Barenboim im Umgang mit seinen Orchestermusikern ganz offenbar nicht ausreichend gerecht. Seine musikalischen Leistungen sind dafür keine Entschuldigung. Im Gegenteil: Wer von seiner Umgebung stetig signalisiert bekommt, ein Ausnahmekünstler zu sein, kann leicht das Gespür für Grenzen verlieren. Insofern ist der verbreitete Geniekult in der klassischen Musik Teil des Problems.

Atmosphäre der Angst

Klar, unter Druck kann jeder Chef mal zu harte Worte wählen. Aber angesichts der großen Zahl von Musikern, die sich zunächst anonym, gegenüber BR-KLASSIK nun erstmals auch namentlich geäußert haben, zeichnet sich leider ein hartnäckiges Muster ab: Viele, zu viele Musiker leiden unter einer Atmosphäre der Angst, weil Barenboim mit unverhältnismäßiger Härte bestimmte Leistungen einfordert. Und weil er sich dabei offenbar immer wieder auf einzelne Musiker kapriziert, die er vor den Kollegen bloßstellt. Etwa, wenn er sie bestimmte Stellen wieder und wieder vorspielen lässt und dabei herb kritisiert. Dass es dabei auch aufbrausend und heftig zugehen kann, wird ebenfalls übereinstimmend berichtet.

Menschliche Größe beweisen

Manche stecken das leichter weg als andere. Nicht wenige leiden darunter, akzeptieren es aber wegen der großartigen musikalischen Ergebnisse. Dass die ausschließlich um diesen Preis zu haben sind, stimmt jedoch nicht. Eine jüngere Dirigenten-Generation und auch zahlreiche ältere Kollegen beweisen seit langem, dass Freundlichkeit, Empathie und manchmal auch Nachsicht zu viel besseren Ergebnissen führen können als Druck und Härte. Daniel Barenboim, der zunächst pauschal alles zurückwies, hat Fehler und ein aufbrausendes Temperament eingeräumt. Aber zugleich seinen Kritikern böse Absichten und musikalische Schwächen unterstellt. Das lässt nicht wirklich auf Läuterung schließen. Der große Künstler und Friedensbotschafter Barenboim könnte durch Bereitschaft zu echtem Dialog und substanzieller Selbstkritik auch menschliche Größe beweisen. Sein bewundernswertes Lebenswerk hätte es verdient – es wäre sehr traurig, wenn er es jetzt durch Starrsinn beschädigt.

Sendung: "Leporello" am 21. Februar 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK